[21.3. – 28.3.] Ab sofort gilt die Parole: „fertig pläuschlet“. Ich habe nämlich in Flores (von meiner Liebsten gesponsert) einen wöchigen Spanischkurs gebucht, inklusive Aufenthalt in einer guatemaltekischen Gastfamilie. Die ersten Stunden Unterricht beginnen Punkt 9 Uhr am Montag morgen. Weil mir die Ausdrücke ¡Hola!, ¡Adios! sowie ¡Dejame en paz! und ¡Lárgate! schon geläufig sind, beschliesse ich gleich mit dem Kurs #2 einzusteigen. Ich brauche harten Stoff! In den folgenden 5 Tagen sind also Préterito, Imperfecto, Futuro, los tiempos compuestos, el Condicional und der Imperativo die Höhepunkte meines Aufenthalts. Natürlich ist das viel zu viel für nur 5 Tage, und mein Kopf schwirrt nach jeweils 4 Lektionen wie ein Schwarm Ronrones. Argh! Es gibt ja so viele Verbos Irregulares, und natürlich sind es in jeder Zeit andere, die sich nicht normal verhalten können. Es un desorden! Das schlimmste ist natürlich, dass ich mit der Zeit alle Formen und Endungen total vermische. Ich habe manchmal den Verdacht, dass sich die neuronalen Verbindungen irgendwie falschrum verknoten.
Ich mache aber immer brav meine Übungen und Hausaufgaben und schreibe viele kleine Aufsätzchen, damit ich aus meinem „Lehrer“ das Maximum rausholen kann. Robin ist ein netter Typ, aber „Begleiter“ wäre wohl die bessere Bezeichnung für seine Arbeit als „Profesor“. Grundsätzlich funktioniert der Unterricht nämlich so, dass er mir aus dem Buch die Übung vorliest, mich diese dann machen lässt oder – wenn er hin und wieder etwas ungeduldig ist – mir die Lösungen gleich schon vorsagt. Wenn ich mal irgendwo anstosse, kommt es ihm leider nicht in den Sinn, vielleicht noch ein paar zusätzliche Übungen zum Thema aus dem Ärmel zu zaubern oder mal etwas zu repetieren. Sagen wir’s so: Robin’s Kompetenzen als Muttersprachler sind absolut intakt, das didaktische Geschick hingegen etwas unterentwickelt… Nach Ende eines Blocks hatte ich jeweils das Gefühl, er sei geschaffter als ich.
Ich habe aber trotzdem viel profitiert, und sei es nur, weil ich mit Robin für 4 Stunden am Tag einen Gesprächspartner für mich ganz allein hatte, der breitwillig alle mir unbekannten Worte erklärte und meine Aufsätze korrigierte. Ich bin mir abschliessend nicht sicher, ob ich wirklich viel mehr aktives Spanisch erwerben konnte in diesem Kurs, aber theoretisches und passives Verständnis sind sicher gewachsen.
Gleichzeitig mit dem Beginn meines Spanischkurses zügle ich meinen Kram von Flores auf die nur etwa 500m entfernte gegenüberliegende Seeseite, ins kleine Dörfchen San Miguel, und werde dort von Oskar und Martha, meinen Gasteltern, herzlich empfangen. Das Zimmer bei ihnen ist nicht im geringsten schlechter als dasjenige, welches ich vorher im Hotel hatte, nämlich inklusive eigener Terrasse, Hängematte, Doppelbett, Aussicht über den See direkt auf Flores, 3 Mahlzeiten am Tag und gepflegte Unterhaltung mit den beiden älteren Herrschaften. Um von San Miguel nach Flores zu gelangen, nehme ich täglich mehrfach eine Lancha (Boot) oder schwimme Abends auch mal rüber (allerdings ohne meine Spanischunterlagen, dafür mit einigen Quetzales in der Badehose um auf der anderen Seite ein Bierchen oder einen Licuado con Leche y Papaya oder Piña zu kaufen).
Doch nach einer Woche im Klassenzimmer bin ich mehr als bereit, mal wieder etwas zu unternehmen. Ich buche deshalb einen mehrtägigen Trek von Flores nach Tikal. Allerdings beginne ich bei dieser Buchung erstmals zu merken, dass es im Moment kaum Touristen in Guatemala hat: Für die Wanderung, die ich plane, verlangen die meisten Agenturen, von denen es Dutzende hat, mindestens 4 Teilnehmer und niemand hat irgend welche Personen vorgemerkt. Ayudo, no conosco a nadie! – Schliesslich finde ich eine Agentur, die bereit ist, die Tour für mich alleine zum Preis von 3 Teilnehmern zu organisieren. Dann mach ich’s halt so, für solche Fälle habe ich schliesslich ein Reservebudget (plus den bescheidenen 2010-er Bonus vom IvyTeam) eingeplant.
Am ersten Tag geht es um 6 Uhr morgens los, per Taxi knapp 1.5 Stunden ins nördlich gelegene Cruce dos Aguas, dem Ausgangspunkt der Wanderung (womit der erste Teilehmerbeitrag schon verprasst war). Dort treffe ich meinen Guide René und seinen 11-jährigen Sohn Euler, der das Lastpferd betreuen wird. Wer nun denkt, dass René, sein Sohn und das Pferd sich den Rest meiner bezahlten Kohle teilen, der liegt natürlich falsch. Essen, Trinken, Material, Guide, Guidesohnemann und Pferdle teilen sich den 2. Teil und die Agencia, die ach so viel organisieren musste (1 Telefon an Guide, 1 Telefon an Taxi, Toast und Spaghetti einkaufen) krallt sich das letzte Drittel. So läuft das hier!
Nachdem wir das Rössle mit dem Essen für 3 Tage, 20 Liter Wasser, Hängematten und Moskitonetzen und sonstigem Kram beladen haben, geht es los. Natürlich kann René nur Spanisch, womit mein Spanischkurs eigentlich erst jetzt anfängt. Am ersten Tag wandern wir gemütlich 6 Stunden lang auf einem Feldweg ins Biotope „El Zotz“, zu einer Mayastätte, die nur sehr punktuell erforscht und ausgegraben wurde. Unterwegs zeigt mir René allerlei sympathisches Zeugs, z.B. Pflanzen die einem Haut und Augen verätzen, wenn man mit ihrem Saft in Kontakt kommt, und dann gleich noch die Kur dafür (die Rinde eines anderen Baum, der gleich in der unmittelbaren Umgebung wächst).
„El Zotz“ heisst „Die Fledermaus“ und trägt diesen Namen zu Recht; auf dem Gelände der Stätte gibt es nämlich eine Höhle in einer steilen Felswand, in der Hunderttausende von Fledermäusen hausen. Abends um exakt 18:40 Uhr kann man den Ausflug der Flatterviecher beobachten. Erst hört man während etwa einer halben Minute ein Rauschen, das sich kontinuierlich steigert, bis die ersten Fledermäuse die Höhle verlassen und danach während etwa 3 Minuten ein konstanter Strom von fliegenden Mäusen dicht an dicht das Loch Richtung Dschungel verlässt. Man versuche mal, sich auszurechnen, wieviele kg Insekten diese Tiere pro Nacht verschlingen… Jedenfalls sind die Fledermäuse offensichtlich auch vampirisch veranlagt: Am nächsten Morgen hat nämlich Palomo, unser Pferd, 2 Wunden am Hals, die laut René von Fledermausbissen herrühren. Allerdings, sagt er, würden diese nicht beissen, um Blut zu saugen, sondern nur, um mit Hilfe des Blutes Insekten anzulocken. Voilà, está claro. Der nächtliche Himmel mitten im Dschungel ist wolkenlos und es gibt nirgends Licht (ausser einigen Glühwürmchen, die um die Bäume kurven). Die Sterne sind deshalb sehr hell und wunderbar anzuschauen.
Am zweiten Tag besichtigen wir erst mal die etwas abseits gelegenen Ruinen von „El Zotz“. Vom höchsten Tempel aus (von dem nur die Spitze ausgegraben wurde) sieht man über das Dschungeldach hinweg bis nach Tikal, wo Tempel IV in etwa 35km Entfernung am Horizont aus dem Dickicht aufragt. Da wollen wir hin! Eine etwa 4-stündige Wanderung bringt uns anschliessend auf einem sehr schmalen Pfad bis nach „El Sayasal“, einem winzigen Camp mitten im Dschungel. Während wir in „El Zotz“, weil dort ständig Parkwächter vor Ort sind, noch eine gewisse Infrastruktur wie Küche und WC zur Verfügung hatten, gibt es in „El Sayasal“ nur einen offenen überdachten Unterstand, wo wir unsere Hängematten aufhängen und ein Feuer entfachen können. Nach Einbruch der Nacht gibt es hier viel zu sehen: Die ganzen handtellergrossen Taranteln und Skorpione verlassen ihre Löcher und kreuchen und fleuchen munter und geschäftig zu Hauf um uns herum, was mich zum Schluss kommen lässt, dass Hängematten eine der besten Erfindungen der Welt sind. Man schläft darin zwar nicht am bequemsten (obwohl’s weniger schlimm war, als ich mir vorgestellt hatte), aber man berührt garantiert gar nix und niemanden und schwebt schön komfortabel einen halben Meter über dem Insekten- und Spinnenverseuchten Boden. Ist denn das nicht toll?
Am dritten Tag trennen wir uns von Euler und dem Pferd, denn das noch verbleibende Wegstück ist mit Ross nicht begehbar. Deshalb reitet der 11-jährige ganz allein mit dem ganzen Karsumpel (ausser meinem kleinen Handgepäck) von hier aus 8 Stunden zurück nach Hause. Buen Viaje! René und ich hingegen kämpfen uns noch für weitere 5 Stunden durch den Dschungel. Der Weg ist kaum mehr sichtbar, und wir müssen oft über und unter Bäumen und Lianen durchsteigen oder auch mal etwas mit der Machete wegschlagen. Unterwegs sehen wir noch Brüll- und andere Affen, Tukane, Papageien und Schlangen. Schliesslich erreichen wir Tempel IV in Tikal und springen aus dem Dickicht auf den breiten Gehweg. Eigentlich müsste ich hier noch einemal den horrenden Eintritt zahlen, weil ich aber schon da war, schmuggeln wir uns auf Nebenwegen unauffällig (Liedchen pfeif und in die Baumwipfel schau) am Kassenhäuschen und den Wächtern vorbei nach draussen. Von hier aus geht es dann einem Sammeltaxi zurück nach Flores. Ich bin schweinedreckig und total verschwitzt, aber glücklich. Ein tolles Erlebnis!
Übrigens war am letzten Tag des Treks bereits das 1. Monatsjubiläum! Damit bleiben nur noch 12 mickrige Monätchen übrig. Das obige Monatsbild #1 entstand unter einem ca. 500 Jahre alten Baum zwischen „El Sayasal“ und Tikal. Danke an Nadia und Jürg für die Inspiration; ich kann mich noch sehr gut an eure #7 erinnern…