Iterum iterumque… EVROPA!

Mysin out!

Hier wird gerade das Mysinsegel gesetzt (dahinter Mysin-Spinnaker und Genua).

WARNUNG: Dieser Bericht enthält viele grandios klingende Seglerbegriffe und tendiert deshalb dazu, bei Lesern, die mit der Terminologie nicht vertraut sind, einen überaus professionellen Eindruck zu hinterlassen. Das ist natürlich beabsichtigt; bewundernde Kommentare (und ggf. dumme Fragen) dürfen gerne in grosser Menge gepostet werden. (Korrekturhinweise wie z.B. „kn/h – was soll’n das? Physik, kennsch?“ hingegen bitte unter Ausschluss der Öffentlichkeit an mich mailen, damit ich den Artikel klammheimlich korrigieren kann, bevor’s jemand anders auch noch merkt.)

HINWEIS: Keine Ahnung ob der pseudo-lateinische Titel im geringsten korrekt ist. Eigentlich wollte ich ja „Rückkehr nach Europa“ schreiben, aber mein Lateinisch ist leider etwas eingerostet.

Item, genug gelabert. Kommen wir endlich zur Sache:

Doppelsegel = doppelschnell

Genua und Balooner sorgen für Speed

Ein paar Stunden nachdem wir am Morgen des 11. Juni den Hafen von Ponta Delgada hinter uns gelassen haben, verschwindet São Miguel am Horizont und wir sind erneut nur noch von Wasser umgeben. Der Wetterbericht verheisst guten (Nord-) Westwind für die nächsten zwei Tage, danach ist Flaute zu erwarten, weil sich ein nerviges Hoch (der Feind eines jeden Seglers, wenn’s auf dem Weg liegt) zwischen den Azoren und Portugal eingenistet hat. Die Westwindlage ermöglicht uns, endlich auch mal ein paar andere Kurse zu fahren als nur am Wind: Zuerst lassen wir die Baligand unter Halbwindkurs und Mysin-Spinnaker mit 8 Knoten über die Wellen fetzen (yeah!); als der Wind dann nach West dreht ist ein Vor-dem-Wind-Kurs angesagt;  wir nehmen den Spi wieder runter und hissen dafür den Ballooner, womit wir die bereits grosse Genuafläche verdoppeln und mit mehr als 100 m2 Segelfläche am Bug (plus Mysin)  locker die hohe Geschwindigkeit halten können und mit Surfen t.w. sogar bis zu 9.5 kn hinkriegen. Die Windstärken bleiben dabei mit weniger als 30 kn die ganze Zeit über sehr angenehm.

Walfisch

Frisch gefangener Bartenwal

Leider haben wir zu Beginn etwas Kreuzsee (d.h. die Wellen laufen nicht gleich wie der Wind, wodurch das Schiff rollen Rollen geraten kann), so dass sich kurz mein Magen wieder meldet. Allerdings ist das Problem diesmal nach einem Tag Würgerei vorbei (hey, das reimt sich mit „Free Ai Wei Wei“), was mich (und wohl auch den Rest der Crew) enorm freut.

Dann treffen wir auf das angekündigte Hoch, doch die Auswirkungen sind nicht so schlimm wie befürchtet: Weil es sich inzwischen etwas nach Süden verschoben hat, können wir erst bequem einen Tag länger an dessen nördlichem Rand entlang segeln. Doch danach erwischt es uns doch noch: der Wind fällt zusammen und wir müssen im Ganzen etwa einen Tag lang (über zwei Tage verteilt) den Motor anwerfen. Zwischendurch kommt jedoch immer wieder etwas Wind auf, so dass wir trotz allem hin und wieder die Segel hissen und die Dieselkiste abstellen können. Die wirklich idealen Windverhältnisse erlauben uns, ständig mehr oder weniger direkt auf Gibraltar zuzuhalten, so dass wir  keinerlei Zeit mit Kursabweichungen verlieren! Als wir schliesslich nach etwa 5 Tagen in die Nähe der portugiesischen Küste kommen, kriegen wir den dort regulär vorherrschenden Nordwind und können erneut mit räumlichem Kurs auf die Meerenge zuhalten.

EVROPA!

Man sieht es kaum, aber am Horizont erscheint tatsächlich EVROPA.

Am frühen Abend des 17. Juni sehen wir endlich Land, nämlich die spanische Küste. Erst jetzt, obwohl wir schon fast einen Tag lang im Golf von Cadiz und damit in der unmittelbaren Nähe von Portugal sind! Dies sagt jedenfalls die Seekarte (wer’s glaubt), doch konnten wir die Küste nicht sehen, weil wir zu weit südlich segelten. Man stelle sich vor, wir hätten kein GPS und keine Seekarte gehabt, wir wären glatt vorbei gesegelt. Oder vielleicht doch nicht? Denn bereits Stunden vor der Sichtung macht sich der Kontinent durch einen intensiven süsslichen Geruch bemerkbar, der unsere olfaktorisch unterbeschäftigte Nasen mit voller Wucht trifft – das hatten wir auf den Azoren nicht, wohl weil die Landmasse da zu klein war. Überhaupt ist das Erlebnis von „Land in Sicht!“ diesmal für mich viel intensiver als auf den Azoren, obwohl wir diesmal nur gerade eine gute Woche auf hoher See unterwegs waren. Diesmal habe ich unvergleichlich viel stärker das Gefühl, nach Hause zu kommen, auch wenn ich noch nie auf der iberischen Halbinsel war, aber es ist halt Europa! Mein Herz klopft deshalb für einen Augenblick tatsächlich etwas schneller als normal…

Schon seit 2 Tagen haben wir den immer intensiver werdenden Schiffsverkehr wahrgenommen. Während wir vorher höchstens alle paar Tage mal einen Frachter gesehen haben, sind es nun mehrere pro Tag (sowohl in W/E-Richtung wie auch in N/S Richtung) und im Golf von Cadiz, als wir in die Nähe von Gibraltar kommen, fast einen pro Stunde. Das verheisst eine heisse Nacht, denn bei diesem Verkehr muss die Wache natürlich doppelt aufmerksam sein.

Queen Mary und Statist

Queen Mary trifft auf Frachterlein. Erstere erscheint zwar gleich gross, ist aber 3sm (~5km) weiter weg...

Zum Glück haben wir eine AIS-Antenne und eine entsprechende Integration der Daten auf den digitalen Seekarten. Damit wird das Navigieren und umkurven der Ozeangiganten zum Kinderspiel, weil Position, Geschwindigkeit und Richtung aller kommerziellen Schiffe in der Nähe zur Verfügung stehen, und uns die Software genau sagt, ob wir auf Kollisionskurs sind (allerdings gilt das nicht für andere Segler, die müssen immer noch von blossem Auge erspäht werden!). So quetschen wir uns also um ca. 1 Uhr morgens durch die Meerenge von Gibraltar, umgeben von zahn-, äh, zahllosen Schiffen, die bis zu 25x grösser und 4x schneller unterwegs sind als wir. Natürlich sind wir sehr froh um den idealen Wind (nordnordwest), der uns genügend Freiheit zum Ausweichen gibt, ohne dass wir ständig heftige Manöver fahren müssten.

Am Mittag des 18. Juni landen wir dann schliesslich in Benalmadena, südlich von Malaga, in der spanischen Pauschaltouristenhölle, wo sich das Kapitel „Crewmitglied benimmt sich daneben“ noch einmal wiederholt (in leichter Variation). Aber das kann ich ja ein andermal erzählen, die Leute beschweren sich eh‘ schon über den volkswirtschaftlichen Schaden, den ich mit meinen zu langen Berichten, die zur Arbeitszeit im Postfach landen, anrichte.