India, oh, India

Im Moment befinde ich mich im berüchtigten – einst von Portugiesen besiedelten und heutzutage vielfach von Russen dominierten – Goa [1] und erhole mich gerade von zwei intensiven Reisewochen mit Dominique im Süden Indiens (Bericht der Gastautorin ist in Vorbereitung).

Es chuelet am Strand

Während ich aus sicherer Entfernung in einer schattigen Chill-Out Bar etwas angewiedert meinen Blick über die am Strand angehäuften westlichen Fleischberge schweifen lasse (kaum Inder in Sicht), überlege ich, ob es sich lohnt, meine Ohrstöpsel zu holen, um das omnipräsente mit der Lautstärke einer Betonfräse dröhnende Gewummer elektronischer Trance-Musik etwas zu dämpfen. Die aufmerksame Leserin ahnt es: Wer nur in Goa war, hat nachher von Indien etwa soviel Ahnung, wie ein Besucher der Indoor Skiing Anlage in Dubai von den Vereinigten Arabischen Emiraten [2][3]. Aber ich will ja sowieso nicht von Hippies und Hilfsapothekern erzählen (das habe ich schon im Belizebericht erledigt), sondern meine bisherigen Eindrücke vom Subkontinent schildern. Deshalb lasse ich Goa Goa sein (ohne den Mojito und die Taco-con-Salsa Chips aus den Händen zu geben; wenn schon Goa-Tourist, dann grad richtig) und drehe das Rad der Zeit mal zurück auf Anfang Januar…

Nachdem der erste Versuch in Hong Kong fehlschlug, erhalte ich im zweiten Anlauf in Bangkok, nach ’nur‘ 7 Tagen Wartezeit, endlich mein indisches Visa. Nur einen Tag später (Poker!) jette ich bereits mit AirAsia nach Kolkata (a.k.a. Calcutta).

Wenn das Zwiebelkörbchen nicht mehr ausreicht

Man hatte mich ja vor Indien gewarnt: Dreck, Armut, Menschenmassen, chaotischer Verkehr – jaja, alles wahr, aber… Auch in Mittelamerika schmeissen die Leute ihren Abfall einfach auf die Strasse oder aus dem Busfenster. Armut, Elend und Auf-dem-Trottoir-Übernachtende sieht man auch auf der Berner Blutturmtreppe. Viele Leute auf wenig Platz gab’s auch an einigen anderen Orten in Asien zu sehen. Und was den chaotischen Verkehr betrifft, so ist Vietnam meiner Meinung nach immer noch Weltmeister. Alles schon dagewesen! Lauter alte Hüte! Worin unterscheidet sich also Indien überhaupt vom bisher erfahrenen Rest der Welt?

Bringt Glück und Erfolg: Ganesh

Die Antwort fällt mir nicht leicht, weil sie nicht sehr schmeichelhaft ist. Doch die letzten paar Monate im perfekt durchorganisierten fernen Osten und die vorangegangene Woche im freundlichen und angenehm zurückhaltenden Bangkok haben mich etwas verwöhnt und ich merke bald, dass ich gewisse Annehmlichkeiten im täglichen Reiseleben (das heisst, in Indien) vermisse: Restaurants oder Cafés, die zum Verweilen einladen. Zugbillete, die man 5 min vor der Abreise kaufen kann. Taxis und Rickschas, die ungefragt den Zähler verwenden und damit jegliche Fahrpreisdiskussion überflüssig machen. Ehrliche Händler und Verkäufer. Effizienz. Freundlichkeit. Höflichkeit. Wo, wo, wo? Indien ist eine riesige Dienstleistungswüste mit einigen wenigen, gut verborgenen Oasen. Dabei ist es nicht mal eine Frage des Geldes: Wer glaubt, dreifach mehr zu bezahlen (d.h. Mittel- bis Oberklassepreise), garantiere für ein Lächeln an der Hotelrezeption oder zuvorkommende Bedienung im Restaurant, der sieht sich in aller Regel öfter enttäuscht als bestätigt.

Welcher Ausdruck passt nicht in die Reihe?

Klingt das ein wenig deprimiert? Nun, das bin ich auch. Bisweilen. Doch zum Glück gibt es Lichtblicke: Obiges gilt nämlich primär für den Kontakt mit dem ‚offiziellen‘ Indien. Sobald man Leute privat kennen lernt, hat man’s oft sprichwörtlich mit einem umgekehrten Handschuh zu tun. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass ich Indien nicht schon vorzeitig den Rücken zugekehrt habe. Ich hatte nämlich ein paar tolle Begegnungen: Dank Couchsurfing wurde ich von Avik in Kalkutta zum Essen eingeladen; im Zug nach Darjeeling machte ich Bekanntschaft mit Biswarup, der kurz darauf zum Engel mutierte, meine liegengelassene Kamera/Kindle sicherstellte und mir diese einige Tage später bei einem Bier wieder übergab; in Puri gab’s von Sorbeswar, nachdem er meinen Platten am Velo geflickt hatte, eine spontane Einladung zum Sonntags-Picknick (was zwar meinen Magen einige Tage lang durcheinanderbrachte, aber trotzdem in guter Erinnerung bleibt); und schliesslich konnte ich in Bangalore vier Tage lang die erstklassige Gastfreundschaft von Smitha, einer Ex-Doktorandin an der ETH, und ihrer Familie geniessen. Auch Homestays (mehr oder weniger privat geführte Bed&Breakfast) können eine Quelle unvergesslicher Bekanntschaften sein: Dil Se, ein von Chandra Bose mit grösster Herzlichkeit geführtes Waisenhaus in Madurai, war eine solche Perle; ebenso Keralite in Alleppey, ein Kolonialhaus im Besitz der äusserst charmanten älteren US-Inderin Alice Thomas, die aussedem ein fantastisches Kerala-Frühstück zuzubereiten weiss.

Zwei mehr würden schon noch reinpassen

Wie dem auch sei, positiv oder nicht, die bisherigen zwei Monate sind jedenfalls nicht spurlos an mir vorbei gegangen. Ich habe mich schon ganz gut assimiliert: Ich esse zu 90% mit den Fingern und trinke problemlos vom offenen Wasser, das auf dem Tisch steht, sowie frisch gebrühten Chai aus Gläsern, die zum letzten mal vorgestern in einer Pfütze auf der Strasse gewaschen wurden; ich trage seit dem Tag meiner Ankunft in Kalkutta nur noch Hemden und denke, trotz grösster Hitze, nicht im Traum daran, in Shorts herumzulaufen; ich kommuniziere nonverbal durch seitliches Nicken oder Kopfwiegen, um je nachdem „ja“, „nein“, „vielleicht“ oder „weiss es nicht“ auszudrücken; ich fahre problemlos im turbulentesten Stadtverkehr mit einem Scooter von A nach B, unter äusserst freimütiger Betätigung der Hupe; und anstatt „Could I please get a Lemon Soda, if it’s not too much trouble?“ belle ich einfach „Lemon Soda“ und knalle dazu die Kohle auf die Theke. Trotzdem wird mir immer noch regelmässig alle Ware zum Foreigner-Price angeboten (30-200% teurer) – woran merken die $*#?! Verkäufer und Riksha-Fahrer bloss, dass ich nicht Inder bin?

Ok, nun habe ich wieder mal ellenlang über dies und das geschnorrt und gelästert ohne auch nur ein Wort über den eigentlichen Reiseverlauf zu verlieren. Ich hole das deshalb gleich noch im Eiltempo nach und verweise im brigen auf den Link tatsächliche Route oben rechts irgendwo. Mittels eines beherzten Klicks auf diesen wird – schwuppdiwupp! – eine Karte geöffnet, die anzeigt, wo all diese Orte mit mehr oder weniger aussprechlichen Namen liegen.

Hemden bügeln leicht gemacht

Kalkutta. Highlight war die Ganztagestour durch die Stadt auf dem Töff; vorbei an 20m hohen Abfallbergen vor den Stadttoren, an gemütlich vor sich hinbrutzelnden Leichen auf brennenden Scheiterhaufen, an mit-einem-Schwertschlag-ist-der-Kopf-ab geopferten Ziegen im Kaligat-Tempel, usw. Kalkutta ist eine tolle Stadt, hier kann man unter anderem für 2 Rupien Chai aus fingerhutgrossen Tässchen aus gebranntem Ton trinken, die nach dem Genuss des Inhalts, ohne die Umwelt zu belasten, an die nächste Wand geschmettert oder mittels Zielwurf in den nächsten Gully geworfen werden können.

Darjeeling. Eine 3-tägige Trekkingtour entlang der nepalesischen Grenze, abwechselnd mit wildem Schneegestöber und erstklassiger Aussicht auf den Himalaya, erlaubt es mir trotz Single-Entry Visa doch noch ein paar Schritte in Nepal zu tun. Ich dachte immer, dass ich relativ unempfindlich bin gegen Kälte, aber gegen die Nordinder und Nepalesen bin ich ein Weichei. Heizungen sind hier total verpönt, genauso wie geschlossene Schuhe. Sandalen kann man problemlos auch bei Minusgraden tragen! Fenster und Türen schliessen? Wozu auch, es wird ja eh‘ nicht geheizt!

So ging's früher ab in Indien

Puri. Hier paaren sich am Konark-Sonnentempel seit jahrtausenden unzählige in den Stein gehauene Männlein und Weiblein in freizügigen Posen. Ansonsten gibt es noch einen tollen Strand für People-Watching, einen riesigen Hindutempel (für Nicht-Hindus ist der Eintritt verboten), ein weiteres Open-Air Krematorium (gleich am Strand, wo man 50m weiter drüben auch gegrillten Fisch haben kann) und das beste Hotel, in dem ich bisher in Indien übernachtet habe.

In Hyderabad wurde die Minarettinitiative offensichtlich abgelehnt

Hyderabad. Indiens Muslim-Hauptstadt hat einen künstlichen See, auf dem man vermutlich auch Segeln könnte, wenn der Segelclub seine eigene Anzeige kennen würde. Da dies aber nicht der Fall ist, pilgert unsereins vergeblich dahin. Item, es gibt ausserdem ja noch ein paar tolle Minarette und Moscheen zu besichtigen, sowie ein eindrückliches Fort ein paar Kilometer ausserhalb der Stadt (wo man sich im Labyrinth der Mauern, Bauwerke und Gänge leicht verlaufen kann und den Ausgang dann nicht mehr auf Anhieb findet).

Zwar nicht Tirupati, aber auch ziemlich gross

Tirupati. Hier gabs eine dreistündige Pilgerwanderung den Berg hinauf, mit anschliessendem dreistündigen Expo-2002-mässigem Anstehen, um einen 10-Sekundenblick auf den reichsten Gott im Hindu-Glaubensuniversum zu erhaschen. Mit mir dabei: ein paar tausend weitere Pilger, die aber – im Gegensatz zu mir – an den Gott glauben, der hier zu Hause sein soll. Das zeigt sich auch an den gespendeten Beträgen: Die ins Hundi geworfene Rupienbündel sind teilweise so dick, dass man sie mit einer Hand nicht mehr umfassen kann. Beim Verlassen des Tempels kann man durch eine Glassscheibe den Angestellten des Tempels beim Geldzählen zuschauen und kommt sich dabei vor, wie im Tresor der Nationalbank!

Am Granittempel: Gruppenbild mit Damen

Mamallapuram. Besuch von unzähligen aus einem einzigen Granitblock gehauenen Tempeln, die allerdings in der Masse der mit Pluderhosen und Aladdin-Spiegelpaillettengilets bekleideten westlichen Backpacker kaum auszumachen sind. Auch sehr beliebt bei indischen Touristen, die sich beim Posieren vor, in und auf den Steinmonumenten gegenseitig zu überbieten versuchen. Der ganze Ort ist voll mit Steinmetz-Ateliers, in denen pausenlos Granit und Basalt gefräst, geklopft, gemeisselt und geschmirgelt wird. Wer noch eine zwei Meter grossen fetten Ganesh oder tanzenden Shiva für den Gartensitzplatz sucht: Here’s the place to go.

La France en Inde

Pondicherry. Oh Pondicherry! Comme je t’aime!

Ein architektonisches Juwel am Kap

Kanyakumari. Das Kap Indiens, wo – laut Werbung – drei Meere aufeinandertreffen, die jedoch von blossem Auge überhaupt nicht zu unterscheiden sind! Ich will mein Geld zurück! Es gibt auch sonst nicht sehr viel zu sehen hier, so dass ich nach weniger als 24 Stunden Aufenthalt schon wieder abgereist bin.

Götter-Flössen bei Vollmond

Madurai. In Madurai fand gerade das jährliche Teppam-Festival statt: Die Götter Shiva und Meenakshi werden auf einem goldenen Rössle aus ihrem Tempel zum 5 km weit entfernten Teich gekarrt, worauf dieselbigen dann, mit Hilfe von Muskelkraft aus dem Publikum, auf einem grossen Floss mehrfach um einen Inseltempel herum gezerrt werden, bevor es, auf bereits erwähntem Gaul, wieder nach Hause geht.

Tiger ahoi

Local Wildlife in Kodaikanal

Kodaikanal. Gemütliche Hillstation auf 2000 M.ü.M., mit guter Aussicht an nebelfreien Tagen und gar keiner Sicht an den anderen, mit angenehmen Temperaturen und einem kleinen See inklusive Mickey-Mouse Pedalos. Perfekt, um ein der langsam aber sicher unerträglich werdenden Hitze in den tiefer liegenden Gegenden Tamil Nadus zu entfliehen und den Tag lesend und faulenzend am Seeufer oder auf einer Parkbank mit Blick über die Hügel der Western Ghats zu verbringen.

Für alle, die "Java 2" verpasst haben: Längst vergriffene Klassiker in Indiens Cyber City

Bangalore. Die IT Hochburg und das Silicon Valley Indiens. Doch ich kam nicht der Computer wegen hierhin, sondern um meine auf Kurzbesuch vorbei gekommene Liebste in die Arme zu schliessen! Doch dazu mehr in einem anderen, späteren & eventuell nie erscheinenden Bericht.

Mit den Kollywood-Stars auf "Du"

Voilà, ich glaube, das reicht für heute. Nur eins noch: Das „Titelbild“ musste ich einfach auswähle. Denn alle reden immer vom „farbenprächtigen Indien“, aber abgesehen von den farbigen Saris und Salwar Kameez der indischen Frauen und dem oben abgebildeten gefärbten Kreide- oder Reispulver, gibt es, meiner Meinung nach, hier nicht wirklich mehr Farben zu sehen als anderswo… Im Gegenteil: Die vorhandenen Farben werden in aller Regel von Rauch, Abgasen, Dunst, Staub und Smog (forme beliebige und/oder-Kombinationen) in ihrer Brillianz ziemlich abgeschwächt. Aber was solls, Bollywood (und seine ebenso fleissigen Brüder Malluwood, Kollywood und Tollywood) machen das in ihren Produktionen wieder wett.

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[1] Lüge, Lüge! Inzwischen bin ich schon in Delhi.

[2] Bei diesem Vergleich ist Vorsicht geboten, denn mittlerweile kann man sogar in Hyderabad, einer durchaus durch-und-durch indischen Stadt, in der Halle Skifahren…

[3] Ok, das stimmt natürlich nicht ganz. Nervige Autorikshaw-Fahrer und regelmässige Stromausfälle gibt es auch hier. Und ‚Café Coffee Day‘, die indische Version von Starbucks (mit 100% indischem Kaffee aus Plantagen in Konzernbesitz).

Madagascar 2: Escape to Toliara

Hier kommt endlich das Sequel zum ersten Madagaskareintrag! Die Story ist so gut angekommen, dass die Redaktion dieses Reisemagazins beschlossen hat, den gleichen Wein in anderen Schläuchen noch einmal aufzutischen, in der Hoffnung auf doppelten Ertrag mit halbem Aufwand. Es hat zugegebenermassen fast gleich lang gedauert, wie normalerweise eine Kinofilmfortsetzung braucht, ist aber hoffentlich etwas weniger öd geraten als die meisten derselbigen.

Von Miandrivazo nach Morondava

Französische Sonnenschirmli-Touristen

Weil der Besuch der weltberühmten Tsingi von Bemaraha mit den ÖV praktisch unmöglich ist, habe ich mich entschlossen, eine organisierte Reise dorthin zu buchen. Mit im Paket enthalten sind als Entrée  eine 3-tägige Flussfahrt im Einbaum und als Dessert der Besuch der Avenue des Baobabs auf dem Weg nach Morondava. Dazwischen Fahrten mit Minibus, 4×4 und Zebu-Karren. Ein tipp-toppes Arrangement also, und als Bonus gibt’s mit Claudia noch eine äusserst nette junge Reiseleiterin, c’est fantastique. Mit von der Partie sind ausser mir noch Claudias 10-jähriger Sohn Tony und 4 französische Bauingenieur-Studenten, die in Antsirabe ein Praktikum absolvieren. Schon wieder mit Franzosen unterwegs! Nimmt denn das kein Ende?

Als erstes fahren wir mit dem Bus von Antsirabe quer durchs westliche Hochland bis ins verschlafene Miandrivazo. Von hier startet die Flussexpedition. Allerdings gibt es für uns Gäste nicht allzuviel zu tun: Nachdem wir es uns in den 2 Kanus gemütlich gemacht haben, brauchen wir kaum mehr einen Finger zu rühren. Gepaddelt, gekocht und Zelte aufgestellt wird ausschliesslich von der Chefin und den 3 angeheuerten Piroguiers, und zwar ohne wenn und aber. Mithelfen? Ein Ding der Unmöglichkeit, aber wenn man wirklich darauf besteht, dann darf man vielleicht noch den letzten Zelthäring einstecken oder mal eine Gabel tragen. D.h. während Claudia und ihre Crew von morgens um 5 bis abends um 10 Uhr schuften, bleibt uns Vazaha nichts anderes übrig als faul rumzusitzen und die Hände im Schoss zu falten. Das entspricht  zwar überhaupt nicht meiner Vorstellung von Reiserei, aber nach zwei Tagen  ergebe ich mich in mein Schicksal als zahlender All-Inclusive-Gast. Immerhin haben wir nach mehrfachem Insistieren erreicht, dass das Nachtessen gemeinsam eingenommen wird. Bei Zmorge und Zmittag sitzen wir aber immer noch schön getrennt: Malagasy hier, Vazaha dort, nix zu machen.

Jippy-ay-yeah, das erste Chamäleon!

Die Fahrt den Tsiribihina hinunter ist trotzdem schön. Wir sehen jede Menge Vögel, ab und zu ein Chamäleon im Schilf, Lemuren in den Bäumen und das eine oder andere Krokodil. Der Fluss hat um diese Jahreszeit nicht so viel Wasser und immer wieder müssen wir aussteigen und die Kanus über den Sand ziehen (lassen).  Doch wenn’s genügend Wasser hat, dann paddeln die drei Piroguiers was das Zeug hält und machen dabei jedem Aussenborder Konkurrenz. Damit die Paddelmaschine nicht den Geist aufgibt, wird sie jeden Tag mit Reis gefüllt, wobei 1 kg Reis pro Person wohl noch knapp geschätzt ist. Wir haben ja diese fixe Vorstellung, dass die grossen Reisesser in Asien zu Hause sind, aber glaubt’s mir: Madagaskar ist das wahre Reisparadies auf Erden.  Die Leute hier schaffen es sogar, bis zu 3 Ernten pro Jahr einzuholen (2 ist normal). Hier gibt’s Reis zum Frühstück, am Mittag und – jawoll, ihr habt’s erraten – zum Znacht; wobei eine Mahlzeit meistens zu 3/4 aus Reis besteht, alles andere ist Beilage. Unsere 3 Paddler essen z.B. schon nur zum Frühstück pro Person eine mittlere Pfanne (ca. 20 cm Durchmesser) voll Reis. Wir Gäste dürfen zum Glück auch etwas weniger nehmen, uff!

Unterwegs mit 2 Zebustärken (2ZS)

Claudia kocht vorzüglich, und zwar konsequent immer zwei Menus pro Mahlzeit: Ein malagassisches für sich und die Crew und ein etwas westlicher angehauchtes für ihre Kunden. Sie gibt alles, um uns die Reise auch kulinarisch so angenehm wie möglich zu machen. Dabei zaubert sie auch mal eine Pizza aus dem Ärmel und hat extra 3 lebendige Hühner mitgenommen, damit wir auch am 3. Tag noch frisches Fleisch haben. Die Pouletten sind irgendwo unter Rucksäcken und anderem Gepäck im hinteren Teil des einen Kanus verstaut und geben hin und wieder mal einen verzweifelten Gack! von sich, wohl ahnend, dass für sie die Reise kein gutes Ende nehmen wird. Dass sie dabei nicht mal einen Platz mit Aussicht und genügend Beinfreiheit erwischt haben, macht die Sache auch nicht besser.

Nach 3 Tagen beenden wir die Fahrt im Dorf Antsiraraka, welches nur über den Flussweg zu erreichen ist. Wir benutzen deshalb Zebu-Karren, um die nächstgelegene Strasse zu erreichen, wo uns ein 4×4 erwartet. Die Zebus sind der Nationalstolz der Malagasy und die Zebukarren, die wirklich überall durch kommen, werden auch „notre Quatre-Quatre“ genannt. Wer braucht schon einen 4×4, wenn man zwei Zebu und einen Holzkarren hat?

Wo das nur hinführt?

Nun ja, für die restlichen 150km, die uns noch bevorstehen bis nach Bekopaka, ist so ein Geländewagen doch ganz praktisch. Mit dem Zebu bräuchte man wohl mehrere Tage dafür, mit der Dieselkarre sind wir hingegen in 5 Stunden dort! Die 3 Piroguiers, die uns bis nach Antsiraraka gepaddelt haben, sind allerdings nicht ganz so schnell wieder zu Hause: 7 Tage brauchen sie für die Strecke in umgekehrter Richtung. Es gibt keine Abkürzung…

Wer mit einem Kühlschrank unterwegs ist, ist hier im Nachteil.

Bekopaka ist der Ausgangsort für Ausflüge zu den grossen und kleinen Tsingi von Bemaraha. Diese faszinierenden Karstformationen bedecken hier an der Westküste von Madagaskar eine grosse Fläche, weshalb man darumherum einen grossen Nationalpark angelegt hat. Die Karstebene ist extrem zerfurcht und hat zahllose schmale Spalten und äusserst scharkfkantige Felsspitzen an der Oberfläche, durch die man mit einem Führer mehrere Stunden lang hindurchklettern kann. Innerhalb der Formationen findet eine Vielzahl an Tieren Zuflucht (verschiedene Lemuren, Schlangen, Chamäleons, Vögel, und sonst noch jede Menge Kreuch-und-Fleuch) und die spezielle Topologie hat eine einzigartige Pflanzenwelt hervorgebracht. Kurz: Es handelt sich bei den Tsingi um ein geologisches Weltwunder, das sich nur hier beobachten lässt (und in etwas kleinerer und weniger imposanter Form noch an zwei anderen Orten in Madagaskar).

Tsingi bedeutet so viel wie „Wo man nicht Barfuss laufen kann“, weil die Felsen und alle Kanten so spitzig und scharf sind. Für die  Malagasy, die in dieser Gegend wohnen, sind die Tsingi heilig. Sie bestatten ihre Verstorbenen in den zahlreichen Höhlen (es gibt aber keine Famadihanas wie im Hochland, siehe letzter Bericht), führen an Ort verschiedene Zeremonien durch und sammeln z.B. Medizinalpflanzen. Während sich jeder normale Mensch innerhalb von Minuten komplett im Wirrwarr der Spalten, Kerben und Schluchten verirren würde, kennen die ansässigen Medizinmänner und Schamanen die Wege in und auswendig. Für die Touristen gibt es einige gut unterhaltene Pfade, auf denen man hin und wieder eine Leiter hochklettert oder auf einer kleinen Hängebrücke eine grössere Kluft überquert. Wer allerdings zuviel Speck auf den Rippen hat, geht das Risiko ein, irgendwo stecken zu bleiben (zum Glück habe ich schon einige Kilo abgenommen).

Zum grössenvergleich beachte man den brusthohen Zaun im Hintergrund

Am letzten Tag unserer 5-tägigen Reise geht es noch 250km nach Süden. Dazu gibt es eigentlich nicht viel zu sagen, ausser dass der elende rote Staub nach 6 Stunden Autofahrt wirklich überall ist, auch wenn die Autotüren und -fenster geschlossen bleiben. Auf dem Weg von Belo-sur-Tsiribihina nach Morondava kommen wir bei der Avenue des Baobabs vorbei. Das ist ein Stück Strasse, das beiderseitig von vielen Baobabs gesäumt ist und vor allem bei Sonnenuntergang sehr schön anzusehen ist. Natürlich ist es deshalb kein Zufall, dass wir am späten Nachmittag dort vorbei kommen, und natürlich sind wir auch nicht die einzigen. Aber die majestätischen Bäume sind so riesig und eindrücklich, dass es der Stimmung keinen Abbruch tut, wenn noch 200 andere Leute da sind. Ich mache so viele Fotos, dass wohl alle, die sich die Galerie auf Flickr anschauen, darob einschlafen werden (wenn’s nicht schon bei den Tsingi-Bildern passiert ist). Sorry.

So ein kuscheliges Früchtchen

Es gibt übrigens weltweit nur 8 Spezies von Baobab, davon kommen 6 ausschliesslich in Madagaskar vor (und je 1 in Afrika und Australien). Die Bäume können über 800 Jahre alt werden und tragen Früchte, die man essen kann. Doch der Geschmack ist eher langweilig und alles andere als umwerfend. Dafür sind die apfelgrossen Kugeln wegen des feinen Pelzes, der sie überzieht, sehr angenehm anzufassen. Ähnlich wie eine reife Pfirsich, nur kuscheliger!

In Morondava verabschiede ich mich nach dem kollektiven Verzehr einer riesigen Meeresfrüchte-Platte (im Restaurant Chez Alain) von Claudia und meinen Mitreisenden. Dafür tue ich mich gleich wieder mit einem französischen Pärchen und einer Schweizerin zusammen, um einen 4×4 bis nach Belo-sur-Mer zu mieten. Zu viert lässt sich der Preis gerade noch verkraften…

Von Morondava nach Tuléar

Ich plane allerdings nicht  mit den anderen drei nach Morondava zurückzukehren, sondern von Belo aus mit einem Segelboot weiter Richtung Süden zu reisen. Ich habe keine Ahnung, ob das klappt und fahre mal so auf’s Geratewohl dorthin, im Wissen, dass ich noch 2 Wochen Zeit habe, um wieder nach Antanarivo zu kommen.

Ein unglücklicher Baobab

Auf dem Weg nach Belo zeigt uns der Fahrer einen Baobab-Wald, der von einem kürzlich vorbei ziehenden Zyklon stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Es treibt einem die Tränen in die Augen, alle diese wunderschönen Bäume wie riesige ausgerissene Pilzstängel am Boden liegen zu sehen.

Dieser Fahrer arbeitet hart für sein Geld

Ebenfalls die Tränen in die Augen treibt uns dann noch ein weiteres Abenteuer: Weil es in letzter Zeit relativ viel geregnet hat, ist die Strasse in noch miserablerem Zustand als bei trockenen Verhältnissen und selbst mit einem 4×4 nicht einfach zu befahren. Als Folge davon schlittern wir des öftern seitwärts über die Piste oder machen hin und wieder mal eine Achteldrehung (zum Glück nur um die Z-Achse). Weil uns der Fahrer unbedingt auch noch die örtlichen Salzgewinnungsfelder zeigen will, müssen wir über eine sehr lehmige Ebene fahren und versenken dort prompt den Vierlivier.

Um den Wagen wieder flott zu machen brauchen wir ungefähr 3 Stunden sowie unzählige von weit weg hergeholte Steine, Äste und Holzbretter; zwei Wagenheber; eine Menge Diesel; viel Geduld und schliesslich noch etwa 20 äusserst hilfsbereite Bewohner eines nahegelegenen Dorfes. Weil aber nach der Rettungsaktion das Getriebe des Geländeganges nicht mehr fit ist, werden wir auch noch Zeugen davon, wie in einer Behelfsgarage mitten im Busch innert Stundenfrist mit Hilfe eines Schweissgeräts, einem Seitenschneider, einem Dieselgenerator (für den Strom) und einem grossen Hammer aus einem Stück Metall eine neue Getriebestange hergestellt wird. Emil Frey’s Garagen sind für Anfänger, möchte man da sagen. Und tatsächlich hält das Teil, so dass wir kurz darauf ohne weitere Zwischenfälle Belo erreichen. Chapeau!

Frohes Schifflebauen am Strand von Belo

Belo-sur-Mer ist ein grösseres Dorf an der Westküste Madagaskars und bekannt für seine Schiffswerkstätten. Hier werden direkt am Strand jedes Jahr Dutzende von neuen Holzschiffen, sogenannte Boutres, zusammengebaut. Am Rande des Dorfes stehen Schiffe in allen möglichen Stadien der Konstruktion und man kann den Zimmermännern bei der Herstellung über die Schulter schauen. Neben der permanenten Dorfbevölkerung leben auf einer vorgelagerten Sandbank in einfachen Zelten noch Hunderte von Vezo – das sind Wanderfischer, die auf der Suche nach ergiebigen Fischgründen von Süd- nach Nordmadagaskar ziehen (und danach wieder zurück).

In Belo angekommen erkundige ich mich gleich nach einer Mitfahrgelegenheit nach Morombe oder Tulear. Es gibt dafür grundsätzlich 2 Möglichkeiten: Entweder mit einem Boutre-Transportschiff oder mit einer Fischerpiroge. Die letztere ist ein fürs Meer fitgemachter Einbaum mit Segel und einem Ausleger. Während ein Boutre sicher bequemer und vor allem günstiger wäre, spricht für die Piroge die sofortige Verfügbarkeit. Dazu muss ich nur ein paar Fischer mit Boot anheuern, ihnen einen dicken Batzen Geld in die Hand drücken und schon bin ich unterwegs. Eine Mitfahrgelegenheit auf einem Boutre zu finden ist hingegen schwieriger, weil diese meistens Salz im Norden von Belo abholen und dann von den Salinen direkt nach Süden fahren, ohne noch einmal in Belo anzulanden. Nachdem ich mehrere Angebote eingeholt habe, finde ich zwei Fischer mit einer eigenen Piroge, die bereit sind, mich für 150’000 Ariary  nach Morombe zu fahren. Der eine spricht sogar ca. 10 Wörter Französisch, was mich schon fast Luxus dünkt.

Achtern sitzt der Steuermann...

...während es sich der Matrose auf dem Ausleger bequem macht

Morombe ist nur etwa 100 km Luftlinie entfernt und es herrscht gerade Ostwind – perfekte Konditionen also (mit der Baligand wäre das in 8-10 Stunden zu schaffen). Wir setzen den Abfahrtstermin auf den übernächsten Tag fest und bis dahin geniesse ich noch ein wenig das Strandleben und den frischen Fisch, den es hier zu essen gibt.

Als es so weit ist, legen wir um 6 Uhr morgens ab und fahren zügig Richtung Süden. Dabei sitzt der Steuermann ganz am Ende der Piroge und benutzt sein nicht fixiertes Paddel als Ruder. Der andere Mann steht oder liegt eigentlich ständig auf dem Ausleger, einerseits als Gewichtstrimm aber andererseits auch, weil es im Boot kaum Platz für drei Personen hat. Ich (= die Ladung) darf es mir in der Mitte  bequem machen – soweit das bei einem ca. 50cm breiten Schiff möglich ist… Schon nach kurzem sehen wir einen ersten Wal, wenn auch weit weit weg. Das fängt ja echt gut an! Am Mittag schläft dann der Ostwind ein und kommt kurz darauf um um 180° gedreht zurück. Kein Problem, damit kann man genau so gut nach Süden fahren! Am späten Nachmittag landen wir schliesslich am Strand und bereiten die Übernachtung vor. Das geht ratz-fatz: 1. Segel herunternehmen und am Strand ausbreiten, 2. sich darin einwickeln und 3. schlafen. Vorher gibt’s noch gekochte Süsskartoffeln (malagassische Gschwellti). Jepp, es ist ein einfaches, aber ein gutes Leben. Der Sternenhimmel ist superklar und ich habe schon lange nicht mehr so viele Sternschnuppen gesehen.

Wo immer am Strand ein Segel liegt, da bette dich ruhig hin

Tagsdrauf weht der Wind erneut zuerst von Osten und dreht dann auf West. Um nach Morombe zu kommen  müssen wir um ein Kap herumsegeln, doch leider kommt der Windwechsel dafür zu früh, und wir schaffen es nicht, gegen den Wind genügend Höhe für eine Umrundung zu gewinnen. Kurz nach Mittag müssen wir aufgeben und legen nach nur etwa 20 km zurückgelegter Strecke in der Nähe von Ankoba wieder an. Upps – schon 2 Tage vorbei und erst knapp die Hälfte der Distanz hinter uns gebracht! Das Segelreisli könnte wohl etwas länger dauern, als gedacht…

Doch ich habe die Rechnung ohne meine wackeren Fischer gemacht. Morgens um 2 Uhr ist Tagwache, der Wind bläst munter und kräftig vom Land weg und wir machen uns im Mondschein auf den Weg. Nur eine halbe Stunde später laufen wir wohl wegen Ebbe auf einer Sandbank auf. Danach geht der Steuermann auf Nummer sicher und bringt erst mal genügend Distanz zwischen Boot und Küste, bevor wir nach Süden abdrehen. Wir segeln so weit weg vom Land, dass es ausser Sichtweite gerät. Ich will ja nicht sagen, dass das grundsätzlich eine neue Erfahrung ist für mich, aber es ist doch ein Unterschied, ob man sowas mit einer voll ausgestatteten modernen Yacht tut oder mit einem klapprigen Einbaum-Fischerböötli in stockdunkler Nacht. Zumindest kann ich jetzt halbwegs nachvollziehen, wie sich die Indonesier gefühlt haben, als sie vor ca. 2500 Jahren auf diese Art und Weise den Indischen Ozean überquerten und  in Madagaskar gelandet sind!

Während wir so über die im Mondschein matt schimmernde Wellen dahingleiten, hört man ab und zu ein starkes Schnaufen und Prusten in unmittelbarer Nähe. Mir wird klar, dass es sich dabei um einen oder mehrere Wale handeln muss. Dass man das riesige Tier, welches sicher um einiges grösser ist als unsere Nussschale, im Wasser unter oder neben uns nur hört und nicht sieht, finde ich ziemlich unheimlich…

Wieder an Land - Bienvenue chez "Le Crabe"

Es wird ein langer und anstrengender Segeltag. Doch meine Begleiter wissen genau, was sie tun. Ein paar Stunden nach Tagesanbruch kommt wieder Land in Sicht und am späten Nachmittag sind wir in Morombe. Dort quartieren wir uns in den Bungalows „Le Crabe“ ein, wo es eine äusserst erfreuliche Überraschung gibt: Hängematten! Wie im guten, alten Mittelamerika! Es gibt nichts besseres, um sich nach einer langen anstrengenden Reise zu entspannen und zu erholen – die Patrons von „Le Crabe“ scheinen die einzigen in ganz Madagaskar zu sein, die das begriffen haben. Bravo!

Doch viel Zeit zum Chillen bleibt mir nicht. Der Bus-Brousse nach Toliara fährt nämlich schon um Mitternacht ab, und ich kann mich gemäss den eingezogenen Auskünften schon mal auf eine Reisedauer „zwischen 12 und 24 Stunden“ einstellen. Für 250km! Na ja, es ist ja trocken, denke ich, und hoffe deshalb auf eine Fahrtzeit die näher bei 12 als 24 Stunden liegt. Doch leider falsch gedacht – wie es sich herausstellt, dauert die Fahrt weder 12 noch 24 Stunden. Nein, geschlagene 25 Stunden lang holpert und ächzt der vollgestopfte Bus über hundsmiserable Staub- und Dreckpisten! 25 Stunden! Und der Fahrer hat nie gewechselt! Ist das krass oder was?

Doch letzteres klingt gefährlicher als es wirklich war: 25 Stunden für 250 km ergibt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von bloss 10km/h und da kann der Fahrer auch mal am Steuer einschlafen, ohne dass etwas wirklich schlimmes passieren kann. Aber unser Chauffeur ist zäh – er hält bis zum Ende durch und fährt und fährt und fährt und fährt und fährt und fährt bis wir endlich, schliesslich, finalemente am darauffolgenden Tag morgens um 1 Uhr in Toliara ankommen. Noch nie habe ich so breitwillig ein Taxi ins nächstbeste Hotel genommen!

– THE END –

Mit diesem Beitrag, liebe Leser und Leserinnen, beenden wir unsere Berichterstattung aus dem fernen Madagaskar. Es gab zwar noch 2 weitere Wochen voller berichtenswerter Geschehnisse, doch müssen wir uns aus zeitlichen Gründen in weiteren Artikeln auf  später erfolgte Begebenheiten konzentrieren. Wir hoffen auf Ihr Verständnis und bitten vielmals um Entschuldigung.

Jazz am Strand und Teer im See

Nach zwei sehr erholsamen Wochen in Panamá fliege ich am 26. April nach Trinidad weiter. Ich weiss zwar zu diesem Zeitpunkt (leider) schon, dass meine Überfahrt nach Europa abgesoffen ist, beschliesse aber trotzdem, mir die Karibik noch etwas näher anzuschauen. Den Flug hatte ich sowieso schon gebucht, also was solls…

Trinidad

Als ich in Trinidad lande, gibt es schon mal erste Hürden zu überwinden: Da ich kein Weiterflugticket habe (ich weiss schlichtweg nicht, wohin die Reise weitergehen wird, das hängt alles von allfälligen Kontakten mit Skippern ab), werde ich von zwei Immigrationsbeamten erst mal tüchtig in die Mangel genommen und ausgefragt über alle meine Pläne für die nähere Zukunft. Ich muss alle meine Geldkärtchen präsentieren (dass ich nur $9 in bar auf mir trage, hilft nicht wirklich), Beruf und Arbeitgeber angeben (wenn man’s genau nimmt, habe ich natürlich keinen), wie lange ich schon arbeite, Auskunft über meinen Job erteilen (die Immigration in Trinidad ist nun also über BPM bestens im Bilde und weiss auch, wie sie einen geeigneten Prozess implementieren könnte) usw. usf. bis ich schlussendlich widerwillig eine 10-tägige Aufenthaltsbewilligung in den Pass gestempelt bekomme. Uff, geschafft.

Danach miete ich ein Auto, einen abgewrackten Toyota Yaris für nur $50 pro Tag, was für ein Schnäppchen (was verschwindet da langsam am Horizont? Ah ja, mein Tagesbudget). Wo doch der Autovermieter nebendran Autos für $25 pro Tag im Angebot hätte, nur leider alle ausverkauft, seit 5 Minuten. Hätte ich nur mit weniger Herzblut die Immigrationsbeamten in die Geheimnisse von Business Process Management eingeweiht. Ich setze mich also in meinen Schlitten und rausche auf die Autobahn Richtung Port-of-Spain. In der Hauptstadt suche ich dann die „Regent Gardens“, wo ich – Couchsurfing sei Dank! – eine Übernachtungsgelegenheit für 2 Nächte organisieren konnte. Google Maps konnte Regent Gardens leider nicht finden, darum fahre ich zum „Regent Lane“ im Quartier Belmont. Nanu? Irgendwie wirkt hier alles so heruntergekommen und mein Gastgeber sagte was von Pool? Hmm… Während ich also so forschend durch die nächtlichen Strassen wandle auf der Suche nach der korrekten Hausnummer, spricht mich eine junge Frau an und fragt mich, was meine Absichten seien. Nach einer kurzen Erklärung meinerseits meint sie lakonisch, dass ich hier sicher am falschen Ort sei und dass es überhaupt besser wäre, wenn ich meinen (weissen) Arsch hier nicht zu dieser Stunde spazierenführen würde (sie sagt es extrem anständig und mit deutlich wahrnehmbarer Besorgnis in der Stimme). Ich schaue mich näher um, sehe plötzlich überdeutlich all die schäbigen Häuser und alle die herumlungernden Typen, die mich seit 5 Minuten anstarren und alle meine Bewegungen verfolgen. Ich danke ich ihr herzlich für den tollen Ratschlag und mache mich aus dem Staub.

Doch inzwischen ist es 20:30 (ich habe mich auf ca. 19 Uhr angemeldet) und ich habe immer noch keine Ahnung, wo mein Gastgeber wohnt. Fieberhaft suche ich ein öffentliches Telefon, und finde sofort eins, nur leider ist es genau so kaputt wie alle anderen, die ich entdecke. Langsam etwas entnervt, schaffe ich das Kunststück, als Geisterfahrer in den dreispurigen Highway einzubiegen (in Trinidad herrscht übrigens Linksverkehr). Wie das möglich ist? Na ja, in Trinidad gibt’s auch auf der Autobahn Ampeln und so stoppt ca. alle 5 Minuten der Verkehr komplett. In so einer Situation komme ich zur Einfahrt und sehe weit und breit kein Auto, worauf ich die fatale Fehlentscheidung traf, nach rechts abzubiegen. 2 Minuten später kommen mir ca. 100 Autos mit 80km/h entgegen. Ich lasse das wohl nicht ganz unberechtigte laute Gehupe über mich ergehen, halb im Strassengraben parkiert, und kann 5 Minuten später, während der nächsten Rotphase, problemlos wenden. Das ist der Vorteil von 3-spurbreiten Strassen!

Endlich leiht mir jemand sein Handy, und ich kann Burcin anrufen und einen Treffpunkt vereinbaren. Es geht schon gegen 22 Uhr, als wir endlich bei ihm zu Hause ankommen. Burcin ist Türke, arbeitet seit rund 20 Jahren für eine türkische Casinogesellschaft und hat in dieser Zeit so ziemlich überall auf der Welt gewohnt und Casinos betreut. Er wohnt zusammen mit Bulent, einem weiteren Casinoangestellten, in einer teuren Wohnung unweit vom Meer, mit Pool, Security am Eingang, eigenem Fahrer, usw. Alles vom Arbeitgeber bezahlt. Das Quartier ist ganz klar am anderen Ende der Wohlstandsskala im Vergleich zu Belmont, in etwa Züriberg vs. Sihlquai. Die beiden Männer beschämen mich sogleich mit ihrer fantastischen Gastfreundschaft: Burcin zieht sofort aus, um auf dem Sofa zu schlafen und überlässt mir sein Doppelbett. Dann gehen wir aus, und auch diese Rechnung übernehmen meine Gastgeber. Ich darf ihre privaten Laptops nutzen soviel und sooft ich will. Ich kriege einen eigenen Hausschlüssel und kann kommen und gehen wie ich will. Wie soll ich mich da nur revanchieren?

Dennoch bin ich schon bald im Clinch: Die beiden Herren sind, natürlich, auf Grund ihres verhältnismässigen Reichtums, extrem vorsichtig und immer auf der Hut, wenn sie in Trinidad unterwegs sind. Gemäss ihren Aussagen ist es praktisch unmöglich, sich alleine irgendwo in Port-of-Spain und auch in vielen Teilen von Trinidad fortzubewegen. Als Beweis für ihre Vorsicht, erzählen sie mir nüchtern, wie sie bereits einige Male ausgeraubt wurden und auch von ihren Freunden und Bekanntschaften, die dasselbe erlebt haben. Wie verträgt sich das nun mit der Freundlichkeit der Trinidader, die ich bis jetzt erlebt habe? Es ist wie ein Fluch: In den folgenden Tagen merke ich, dass ich, durch diese Berichte beeinflusst, anfange übervorsichtig zu werden und alle Einheimischen plötzlich als potentielle Gefahr wahrnehme, ohne dass ich das eigentlich will. Ich gehe weniger auf Leute zu, überlege mir, ob ich auf einem etwas abgelegenen Parkplatz parkieren soll, ob ich eine bestimmte Strasse entlanggehen soll, ob ich es mir leisten kann, am Strassenrand auf ein Sammeltaxi zu warten, usw. Das gefällt mir gar nicht und geht mir an die Nieren. Ich frage mich, wie es gewesen wäre, wenn mein Couchsurfing-Gastgeber ein Trinidader gewesen und ich in einem ganz normalen Quartier untergekommen wäre?

Desktophintergrund, hochformat

Wer braucht noch einen Desktophintergrund?

Während 2 Tagen erkunde ich mit dem Auto die Insel. Am ersten Tag mache ich einen sehr schönen Ausflug durch den bergigen Norden, esse (mit schlechtem Gewissen) Bake’n’Shark (fritiertes Brot mit fritierten Haistücken darin, die kulinarische Spezialität Trinidads), geniesse die Aussicht entlang der hügligen Küste, umkurve behende die zahllosen riesigen Schlaglöcher in den Strassen und hole auf den engen und teilweise steilen Strassen das letzte aus dem Yaris raus (und sehne mich nach einer manuellen Gangschaltung). Durch den dicken Nebelwald fahre ich, fast ohne einem anderen Auto zu begegnen, über die Berge zurück nach Port-of-Spain.

Die Nordküste von Trinidad

Trinidad, Nordküste

Am zweiten Tag fahre ich ganz in den Süden, um mir den „Pitch Lake„, einen natürlichen Asphaltsee, anzuschauen. Es gibt nur 3 von diesen Seen weltweit, und der Asphalt von Trinidad war (und ist wohl immer noch) weltberühmt. Die frühen Seefahrer waren des Lobes voll über die schwarze Masse, die sie zum abdichten ihrer Schiffe benutzten. Später dann, als der industrielle Abbau des Asphalts bereits in vollem Gang war, wurde das Material bis nach Ostdeutschland geschafft, wo es u.a. im Autobahnbau verwendet wurde. Auch heute noch wird fleissig Asphalt abgeschöpft und in alle Welt verschifft. Man kann den See zu Fuss begehen und mit einem Guide darüberwandern. Ab und zu sieht man Baumstämme, die aus der Tiefe und Vergangenheit an die Oberfläche gelangen, wie auch schon ganze Skelette von Urgetieren und -pflanzen.

Am Ende des 2. Tags reicht es mir aber mit Trinidad. Einerseits habe ich das Gefühl, schon alles sehenswerte gesehen zu haben, andererseits fühle ich mich aus oben genannten Gründen nicht sehr wohl. Darüberhinaus habe ich kein Auto mehr, meine Zeit bei Burcin und Bulent läuft aus, und der ÖV ist vollig unpraktisch. Instantan vermisse ich Zentralamerika, mit seinen einfachen und günstigen Unterkünften und den exzellenten Fortbewegungsmöglichkeiten. In dieser Stimmung, mit einem Carib in der einen Hand und einem Double in der anderen, fällt mein Blick auf eine Anzeige für das Tobago Jazz Festival, welches zu diesem Zeitpunkt bereits stattfindet, aber zum Glück noch für weitere 3 Tage andauert. Tagsdrauf sitze ich bereits in der Fähre nach Scarborough und habe unterwegs, mitten zwischen kotzenden Passagieren und einer superlauten Darbietung des ersten Harry Potter Films auf allen Bildschirmen, sogar noch Zeit für ein Hochzeitstelefon auf den Gurten.

Tobago

In Tobago richte ich mich in einem Guest House in Crown Point ein und fühle mich sofort viel besser. Hier ist alles nahe beieinander und mit dem gemieteten Velo kann ich problemlos die nähere und weitere Umgebung erkunden. Der Flughafen liegt mitten im Ort: gehsch du kurz Milch einkaufe, so läufsch am Flughafe vorbei, eingequetscht zwischen Rotistand und Autovermietung. In Tobago gibt’s, im Gegensatz zu Trinidad, praktisch keine Kriminalität, die ganze Insel ist ein Dorf. Man kann sich am Strand ein Bierchen oder einen Drink genehmigen und den Sonnenuntergang bestaunen und auch spätabends, nach einem Znacht auswärts, zu Fuss nach Hause schlendern.

Im Guest House sind wir nur zwei Gäste, neben mir auch noch Tom, ein etwas älterer Amerikaner aus Florida, der für American Airlines arbeitet und ein riesen Jazzfan ist. Seit Jahren fliegt er in die Karibik, um auf den verschiedensten Inseln Jazzfestivals zu besuchen, was er sich, dank seines Jobs, auch gut leisten kann. In seiner Sporttasche hat er immer einen CD-Player und 2 Boxen dabei, damit kann er sich an einem Strand seiner Wahl niederlassen und sich in aller Gemütlichkeit, mit einem Cuba Libre in der Hand, von Miles Davis oder sonstwem beschallen lassen. Das finde ich ein super Konzept! Gleich am 2. Tag nach meiner Ankunft besuche ich mit Tom ein Gratiskonzert am Strand. Etwa 8 Gruppen treten auf, den Höhepunkt bildet der Auftritt von Arturo Tappin, einem barbudischen (barbudesischen?) Saxophonisten. Der Strand überläuft vor Leuten, alle haben eine riesige Kühltruhe dabei, die mit Rum, Cola, Bier, Limetten und Eis gefüllt ist (man stelle sich das mal an einem unserer Festivals vor). Trotz des enormen Alkoholkonsums bereits um 11 Uhr morgens bleibt die Stimmung sehr locker und friedlich, alles schwingt Hüften und Hintern, und es scheint mir, dass je grösser der Hüftumfang einer Frau, desto krasser die Schwünge und der Groove. Zwischen zwei Darbietungen strömt die Menge, ohne Bierflaschen oder Drinkgläser aus der Hand zu geben, ins brusttiefe Wasser, wo dicht an dicht weitergeplaudert und -gefeiert wird. Coole Sache!

Nach diesem bereits sehr tollen Tagesanfang, mache ich mit meinem Velo noch einen Ausflug nach Plymouth im Norden. Auf der Rückfahrt, es ist bereits dunkel, lege ich einen Zwischenhalt am Strand von Black Rock ein. Grund dafür ist, dass im Moment die Nistsaison der riesigen Lederschildkröten ist, und dieser Strand eines ihrer bevorzugten Legegebiete ist. Ich laufe den Strand hinunter und wieder hoch und halte Ausschau, was in der stockdunklen Nacht nicht ganz so einfach ist. Während sich meine Augen auf der Suche nach einer autoreifengrossen Schildkröte über den Strand bewegen, sehe ich die Spuren eines 4-Wheelers rechtwinklig zum Strand, und ich frage mich, welcher Hirni denn hier mit diesem Gefährt ins Wasser gefahren ist. Doch bald realisiere ich: Es war kein 4-Wheeler, sondern eine beschilderte Kröte, die hier den Strand hochgekrochen ist und dabei diese enormen Spuren hinterliess. Ich folge den Spuren ein wenig landinwärts, gleich nach der Strandkuppe liegt die total erschöpfte Schildkröte, die deutlich grösser ist als ein Autoreifen, sie hat eher die Grösse eines kleinen Kühlschranks! Es steht bereits eine Familie dort, die dem Tier zuschaut wie es schwerfällig mit seinen riesigen Flossen ein Loch gräbt. Dabei hält das Reptil immer wieder inne und lässt einen Seufzer oder ein Röhren hören (das reimt!). Kurz, es wird klar, wie Scheiss-anstrengend und mühsam diese Eierlegerei mit allem drum und dran sein muss (wenn man eine Lederschildkröte ist). Nach einer guten Stunde schaufelt Mme. Leatherback ihr Loch wieder zu und quält sich Stück für Stück zurück, den Strand hinunter, Richtung Ozean. Kaum von der ersten Welle erreicht, ist der riesige Panzer auch schon abgetaucht und verschwunden. Was bleibt, ist eine zwanzigmetrige 4-Wheelerspur am Strand. Natürlich laufen wir sofort zurück zum Ort des Geschehens, graben die Eier aus und braten uns einen Haufen toller Spiegeleier. Mmh, die Natur hat es wirklich gut mit uns gemeint!

Doch damit ist dieser grossartige Tag noch nicht zu Ende: Als ich um ca. 23 Uhr zurück ins Guest House komme, treffe ich Tom, der mir 2 Tickets für das grosse Abschlusskonzert am nächsten Abend entgegenstreckt. „Complementary“, sagt er, er habe die Tickets umsonst durch eine Bekanntschaft organisieren können. Warum habe ich heute nicht Lotto gespielt?

Das Konzert am nächsten Tag dauert von 4 bis 21 Uhr (diesmal nur in der Nähe des Strands). Tom und ich haben beste Sitze gleich vor der Bühne und natürlich haben wir heute auch eine Kühlbox mit den nötigen Zutaten dabei… Der Hauptact, Randy Crawford & Joe Sample, waren echt die Reise wert und ein toller Abschluss für meine Zeit in Trinidad & Tobago (man soll gehen, wenn’s am besten ist). Wenn ich wieder komme, dann definitiv nur noch nach Tobago. Hier hätte es noch viel zu sehen gegeben, insbesondere auch tolle Tauchspots im Norden…

Am nächsten Morgen (2. Mai) fliege ich für $24 (soviel hätte das Taxi von Port-of-Spain an den Flughafen gekostet!) zurück nach Trinidad und von da aus weiter nach St. Maarten (auch diesmal ohne Weiterflugticket, aber das ist eine andere Geschichte).

PS1: Leider habe ich – ausser den paar wenigen Bildern von Trinidad – absolut keine Bilder von diesem Aufenthalt, weil meine Kamera den Geist aufgegeben hat. Muss mir wohl eine neue kaufen…

PS2: Trotz Kameraausfall hat es hat neue Bilder in der Da Pix Abteilung gegeben!