India, oh, India

Im Moment befinde ich mich im berüchtigten – einst von Portugiesen besiedelten und heutzutage vielfach von Russen dominierten – Goa [1] und erhole mich gerade von zwei intensiven Reisewochen mit Dominique im Süden Indiens (Bericht der Gastautorin ist in Vorbereitung).

Es chuelet am Strand

Während ich aus sicherer Entfernung in einer schattigen Chill-Out Bar etwas angewiedert meinen Blick über die am Strand angehäuften westlichen Fleischberge schweifen lasse (kaum Inder in Sicht), überlege ich, ob es sich lohnt, meine Ohrstöpsel zu holen, um das omnipräsente mit der Lautstärke einer Betonfräse dröhnende Gewummer elektronischer Trance-Musik etwas zu dämpfen. Die aufmerksame Leserin ahnt es: Wer nur in Goa war, hat nachher von Indien etwa soviel Ahnung, wie ein Besucher der Indoor Skiing Anlage in Dubai von den Vereinigten Arabischen Emiraten [2][3]. Aber ich will ja sowieso nicht von Hippies und Hilfsapothekern erzählen (das habe ich schon im Belizebericht erledigt), sondern meine bisherigen Eindrücke vom Subkontinent schildern. Deshalb lasse ich Goa Goa sein (ohne den Mojito und die Taco-con-Salsa Chips aus den Händen zu geben; wenn schon Goa-Tourist, dann grad richtig) und drehe das Rad der Zeit mal zurück auf Anfang Januar…

Nachdem der erste Versuch in Hong Kong fehlschlug, erhalte ich im zweiten Anlauf in Bangkok, nach ’nur‘ 7 Tagen Wartezeit, endlich mein indisches Visa. Nur einen Tag später (Poker!) jette ich bereits mit AirAsia nach Kolkata (a.k.a. Calcutta).

Wenn das Zwiebelkörbchen nicht mehr ausreicht

Man hatte mich ja vor Indien gewarnt: Dreck, Armut, Menschenmassen, chaotischer Verkehr – jaja, alles wahr, aber… Auch in Mittelamerika schmeissen die Leute ihren Abfall einfach auf die Strasse oder aus dem Busfenster. Armut, Elend und Auf-dem-Trottoir-Übernachtende sieht man auch auf der Berner Blutturmtreppe. Viele Leute auf wenig Platz gab’s auch an einigen anderen Orten in Asien zu sehen. Und was den chaotischen Verkehr betrifft, so ist Vietnam meiner Meinung nach immer noch Weltmeister. Alles schon dagewesen! Lauter alte Hüte! Worin unterscheidet sich also Indien überhaupt vom bisher erfahrenen Rest der Welt?

Bringt Glück und Erfolg: Ganesh

Die Antwort fällt mir nicht leicht, weil sie nicht sehr schmeichelhaft ist. Doch die letzten paar Monate im perfekt durchorganisierten fernen Osten und die vorangegangene Woche im freundlichen und angenehm zurückhaltenden Bangkok haben mich etwas verwöhnt und ich merke bald, dass ich gewisse Annehmlichkeiten im täglichen Reiseleben (das heisst, in Indien) vermisse: Restaurants oder Cafés, die zum Verweilen einladen. Zugbillete, die man 5 min vor der Abreise kaufen kann. Taxis und Rickschas, die ungefragt den Zähler verwenden und damit jegliche Fahrpreisdiskussion überflüssig machen. Ehrliche Händler und Verkäufer. Effizienz. Freundlichkeit. Höflichkeit. Wo, wo, wo? Indien ist eine riesige Dienstleistungswüste mit einigen wenigen, gut verborgenen Oasen. Dabei ist es nicht mal eine Frage des Geldes: Wer glaubt, dreifach mehr zu bezahlen (d.h. Mittel- bis Oberklassepreise), garantiere für ein Lächeln an der Hotelrezeption oder zuvorkommende Bedienung im Restaurant, der sieht sich in aller Regel öfter enttäuscht als bestätigt.

Welcher Ausdruck passt nicht in die Reihe?

Klingt das ein wenig deprimiert? Nun, das bin ich auch. Bisweilen. Doch zum Glück gibt es Lichtblicke: Obiges gilt nämlich primär für den Kontakt mit dem ‚offiziellen‘ Indien. Sobald man Leute privat kennen lernt, hat man’s oft sprichwörtlich mit einem umgekehrten Handschuh zu tun. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass ich Indien nicht schon vorzeitig den Rücken zugekehrt habe. Ich hatte nämlich ein paar tolle Begegnungen: Dank Couchsurfing wurde ich von Avik in Kalkutta zum Essen eingeladen; im Zug nach Darjeeling machte ich Bekanntschaft mit Biswarup, der kurz darauf zum Engel mutierte, meine liegengelassene Kamera/Kindle sicherstellte und mir diese einige Tage später bei einem Bier wieder übergab; in Puri gab’s von Sorbeswar, nachdem er meinen Platten am Velo geflickt hatte, eine spontane Einladung zum Sonntags-Picknick (was zwar meinen Magen einige Tage lang durcheinanderbrachte, aber trotzdem in guter Erinnerung bleibt); und schliesslich konnte ich in Bangalore vier Tage lang die erstklassige Gastfreundschaft von Smitha, einer Ex-Doktorandin an der ETH, und ihrer Familie geniessen. Auch Homestays (mehr oder weniger privat geführte Bed&Breakfast) können eine Quelle unvergesslicher Bekanntschaften sein: Dil Se, ein von Chandra Bose mit grösster Herzlichkeit geführtes Waisenhaus in Madurai, war eine solche Perle; ebenso Keralite in Alleppey, ein Kolonialhaus im Besitz der äusserst charmanten älteren US-Inderin Alice Thomas, die aussedem ein fantastisches Kerala-Frühstück zuzubereiten weiss.

Zwei mehr würden schon noch reinpassen

Wie dem auch sei, positiv oder nicht, die bisherigen zwei Monate sind jedenfalls nicht spurlos an mir vorbei gegangen. Ich habe mich schon ganz gut assimiliert: Ich esse zu 90% mit den Fingern und trinke problemlos vom offenen Wasser, das auf dem Tisch steht, sowie frisch gebrühten Chai aus Gläsern, die zum letzten mal vorgestern in einer Pfütze auf der Strasse gewaschen wurden; ich trage seit dem Tag meiner Ankunft in Kalkutta nur noch Hemden und denke, trotz grösster Hitze, nicht im Traum daran, in Shorts herumzulaufen; ich kommuniziere nonverbal durch seitliches Nicken oder Kopfwiegen, um je nachdem „ja“, „nein“, „vielleicht“ oder „weiss es nicht“ auszudrücken; ich fahre problemlos im turbulentesten Stadtverkehr mit einem Scooter von A nach B, unter äusserst freimütiger Betätigung der Hupe; und anstatt „Could I please get a Lemon Soda, if it’s not too much trouble?“ belle ich einfach „Lemon Soda“ und knalle dazu die Kohle auf die Theke. Trotzdem wird mir immer noch regelmässig alle Ware zum Foreigner-Price angeboten (30-200% teurer) – woran merken die $*#?! Verkäufer und Riksha-Fahrer bloss, dass ich nicht Inder bin?

Ok, nun habe ich wieder mal ellenlang über dies und das geschnorrt und gelästert ohne auch nur ein Wort über den eigentlichen Reiseverlauf zu verlieren. Ich hole das deshalb gleich noch im Eiltempo nach und verweise im brigen auf den Link tatsächliche Route oben rechts irgendwo. Mittels eines beherzten Klicks auf diesen wird – schwuppdiwupp! – eine Karte geöffnet, die anzeigt, wo all diese Orte mit mehr oder weniger aussprechlichen Namen liegen.

Hemden bügeln leicht gemacht

Kalkutta. Highlight war die Ganztagestour durch die Stadt auf dem Töff; vorbei an 20m hohen Abfallbergen vor den Stadttoren, an gemütlich vor sich hinbrutzelnden Leichen auf brennenden Scheiterhaufen, an mit-einem-Schwertschlag-ist-der-Kopf-ab geopferten Ziegen im Kaligat-Tempel, usw. Kalkutta ist eine tolle Stadt, hier kann man unter anderem für 2 Rupien Chai aus fingerhutgrossen Tässchen aus gebranntem Ton trinken, die nach dem Genuss des Inhalts, ohne die Umwelt zu belasten, an die nächste Wand geschmettert oder mittels Zielwurf in den nächsten Gully geworfen werden können.

Darjeeling. Eine 3-tägige Trekkingtour entlang der nepalesischen Grenze, abwechselnd mit wildem Schneegestöber und erstklassiger Aussicht auf den Himalaya, erlaubt es mir trotz Single-Entry Visa doch noch ein paar Schritte in Nepal zu tun. Ich dachte immer, dass ich relativ unempfindlich bin gegen Kälte, aber gegen die Nordinder und Nepalesen bin ich ein Weichei. Heizungen sind hier total verpönt, genauso wie geschlossene Schuhe. Sandalen kann man problemlos auch bei Minusgraden tragen! Fenster und Türen schliessen? Wozu auch, es wird ja eh‘ nicht geheizt!

So ging's früher ab in Indien

Puri. Hier paaren sich am Konark-Sonnentempel seit jahrtausenden unzählige in den Stein gehauene Männlein und Weiblein in freizügigen Posen. Ansonsten gibt es noch einen tollen Strand für People-Watching, einen riesigen Hindutempel (für Nicht-Hindus ist der Eintritt verboten), ein weiteres Open-Air Krematorium (gleich am Strand, wo man 50m weiter drüben auch gegrillten Fisch haben kann) und das beste Hotel, in dem ich bisher in Indien übernachtet habe.

In Hyderabad wurde die Minarettinitiative offensichtlich abgelehnt

Hyderabad. Indiens Muslim-Hauptstadt hat einen künstlichen See, auf dem man vermutlich auch Segeln könnte, wenn der Segelclub seine eigene Anzeige kennen würde. Da dies aber nicht der Fall ist, pilgert unsereins vergeblich dahin. Item, es gibt ausserdem ja noch ein paar tolle Minarette und Moscheen zu besichtigen, sowie ein eindrückliches Fort ein paar Kilometer ausserhalb der Stadt (wo man sich im Labyrinth der Mauern, Bauwerke und Gänge leicht verlaufen kann und den Ausgang dann nicht mehr auf Anhieb findet).

Zwar nicht Tirupati, aber auch ziemlich gross

Tirupati. Hier gabs eine dreistündige Pilgerwanderung den Berg hinauf, mit anschliessendem dreistündigen Expo-2002-mässigem Anstehen, um einen 10-Sekundenblick auf den reichsten Gott im Hindu-Glaubensuniversum zu erhaschen. Mit mir dabei: ein paar tausend weitere Pilger, die aber – im Gegensatz zu mir – an den Gott glauben, der hier zu Hause sein soll. Das zeigt sich auch an den gespendeten Beträgen: Die ins Hundi geworfene Rupienbündel sind teilweise so dick, dass man sie mit einer Hand nicht mehr umfassen kann. Beim Verlassen des Tempels kann man durch eine Glassscheibe den Angestellten des Tempels beim Geldzählen zuschauen und kommt sich dabei vor, wie im Tresor der Nationalbank!

Am Granittempel: Gruppenbild mit Damen

Mamallapuram. Besuch von unzähligen aus einem einzigen Granitblock gehauenen Tempeln, die allerdings in der Masse der mit Pluderhosen und Aladdin-Spiegelpaillettengilets bekleideten westlichen Backpacker kaum auszumachen sind. Auch sehr beliebt bei indischen Touristen, die sich beim Posieren vor, in und auf den Steinmonumenten gegenseitig zu überbieten versuchen. Der ganze Ort ist voll mit Steinmetz-Ateliers, in denen pausenlos Granit und Basalt gefräst, geklopft, gemeisselt und geschmirgelt wird. Wer noch eine zwei Meter grossen fetten Ganesh oder tanzenden Shiva für den Gartensitzplatz sucht: Here’s the place to go.

La France en Inde

Pondicherry. Oh Pondicherry! Comme je t’aime!

Ein architektonisches Juwel am Kap

Kanyakumari. Das Kap Indiens, wo – laut Werbung – drei Meere aufeinandertreffen, die jedoch von blossem Auge überhaupt nicht zu unterscheiden sind! Ich will mein Geld zurück! Es gibt auch sonst nicht sehr viel zu sehen hier, so dass ich nach weniger als 24 Stunden Aufenthalt schon wieder abgereist bin.

Götter-Flössen bei Vollmond

Madurai. In Madurai fand gerade das jährliche Teppam-Festival statt: Die Götter Shiva und Meenakshi werden auf einem goldenen Rössle aus ihrem Tempel zum 5 km weit entfernten Teich gekarrt, worauf dieselbigen dann, mit Hilfe von Muskelkraft aus dem Publikum, auf einem grossen Floss mehrfach um einen Inseltempel herum gezerrt werden, bevor es, auf bereits erwähntem Gaul, wieder nach Hause geht.

Tiger ahoi

Local Wildlife in Kodaikanal

Kodaikanal. Gemütliche Hillstation auf 2000 M.ü.M., mit guter Aussicht an nebelfreien Tagen und gar keiner Sicht an den anderen, mit angenehmen Temperaturen und einem kleinen See inklusive Mickey-Mouse Pedalos. Perfekt, um ein der langsam aber sicher unerträglich werdenden Hitze in den tiefer liegenden Gegenden Tamil Nadus zu entfliehen und den Tag lesend und faulenzend am Seeufer oder auf einer Parkbank mit Blick über die Hügel der Western Ghats zu verbringen.

Für alle, die "Java 2" verpasst haben: Längst vergriffene Klassiker in Indiens Cyber City

Bangalore. Die IT Hochburg und das Silicon Valley Indiens. Doch ich kam nicht der Computer wegen hierhin, sondern um meine auf Kurzbesuch vorbei gekommene Liebste in die Arme zu schliessen! Doch dazu mehr in einem anderen, späteren & eventuell nie erscheinenden Bericht.

Mit den Kollywood-Stars auf "Du"

Voilà, ich glaube, das reicht für heute. Nur eins noch: Das „Titelbild“ musste ich einfach auswähle. Denn alle reden immer vom „farbenprächtigen Indien“, aber abgesehen von den farbigen Saris und Salwar Kameez der indischen Frauen und dem oben abgebildeten gefärbten Kreide- oder Reispulver, gibt es, meiner Meinung nach, hier nicht wirklich mehr Farben zu sehen als anderswo… Im Gegenteil: Die vorhandenen Farben werden in aller Regel von Rauch, Abgasen, Dunst, Staub und Smog (forme beliebige und/oder-Kombinationen) in ihrer Brillianz ziemlich abgeschwächt. Aber was solls, Bollywood (und seine ebenso fleissigen Brüder Malluwood, Kollywood und Tollywood) machen das in ihren Produktionen wieder wett.

___

[1] Lüge, Lüge! Inzwischen bin ich schon in Delhi.

[2] Bei diesem Vergleich ist Vorsicht geboten, denn mittlerweile kann man sogar in Hyderabad, einer durchaus durch-und-durch indischen Stadt, in der Halle Skifahren…

[3] Ok, das stimmt natürlich nicht ganz. Nervige Autorikshaw-Fahrer und regelmässige Stromausfälle gibt es auch hier. Und ‚Café Coffee Day‘, die indische Version von Starbucks (mit 100% indischem Kaffee aus Plantagen in Konzernbesitz).

Un kilomètre a pied…

La dodo lé là

La bière de la Réunion

Quizfrage: Wo ist der Dodo zu Hause? Fälschlicherweise glauben die meisten Leute, der arme Vogel sei auf Mauritius um seine Existenz gebracht worden. Irrtum! Er hat es sich auf der Nachbarsinsel La Réunion gemütlich gemacht, wie unzählige Schilder mit der kreolischen Aufschrift La Dodo Lé La („Der Dodo ist hier“) beweisen! Man kann sich auf dieser Insel keinen Meter bewegen, ohne dass das Federvieh irgendwo ins Blickfeld gerät.

Doch das Dodo-Bier ist bei weitem nicht das einzige, was die ehemalige Île Bourbon zu bieten hat. Im Gegensatz zur Hochzeitsinsel Mauritius gibt es hier kaum (weisse) Sandstrände, dafür aber eine unglaublich spektakuläre Berglandschaft. Im nördlichen Teil der Insel dominieren die 3 Cirques (Mafate, Salazie, Cilaos; gigantische Vulkankrater) das Landschaftsbild. Sie umgeben den höchsten Berg im indischen Ozean, den Piton des Neiges, der mit seinen über 3000 Metern Höhe alles andere überragt. Der südliche Teil der Insel ist dafür von einem der aktivsten Vulkane der Welt geprägt: der Piton de la Fournaise bricht regelmässig alle paar Jahre (2001, 2002, 2004, 2007) wieder aus und formt seine Umgebung damit immer wieder neu. Alles in allem ideale Voraussetzungen für ein Wanderparadies! Finanziert mit den Geldern der Grande Nation, zu der La Réunion gehört, wurde deshalb ein dichtes Netz von gut unterhaltenen Wanderwegen, die sich über Berge und durch Täler winden, angelegt. Diese sind in Abschnitte von 4-6 Stunden Marschzeit unterteilt und verbinden kleine Weiler und Dörfer, wo am Ende des Tages Hütten und Gästezimmer den müden Wanderer mit Bett, Speis & Trank erwarten.

La Réunion ist ein äusserst beliebtes Ferienziel der Franzosen, und diese überschwemmen vor allem in den Sommerferienmonaten Juli und August die Insel. Weil die Anzahl Plätze in den Hütten beschränkt ist und weil es auf mehrtägigen Wanderungen oft keine Alternativen gibt, habe ich bereits im Januar die Mehrzahl meiner Übernachtungen in den Hütten gebucht, um vor Ort keine bösen Überraschungen zu erleben. Es fehlen mir einzig 4 Nächte, die erste, die letzte und das Wochenende in der Mitte.

Vor dem Aufstieg

Los geht's! (Scheisswetter)

Couchsurfing.org sei Dank verbringe ich die erste Nacht im Hauptort St. Denis im Norden und werde von Yann, trotz Chaos in seiner Wohnung (er ist erst gerade umgezogen) bestens versorgt. Da er sich ebenfalls überlegt, eine längere Auszeit mit einer Weltreise zu verbinden, finden wir schnell einen gemeinsamen Nenner.

Doch damit nicht genug: Als ich ihm erzähle, dass ich noch eine Übernachtungsgelegenheit im Süden suche, bringt er mich Flugs mit einer Arbeitskollegin von ihm in Kontakt, und nur Minuten später ist das noch offene Wochenende unter Dach und Fach. Toller Service! Fehlt nur noch eine Nacht, doch wenn das so weitergeht…

Am nächsten Tag ziehe ich dann mit meinem „kleinen“ Rucksack los (die Reduktion von 50 auf 35 Liter während meines Aufenthalts in der Schweiz war vor allem durch die bevorstehenden langen Wanderungen auf La Réunion motiviert. Wer will sich schon zu Tode schleppen?). Für den ersten Wandertag stehen 1800 Höhenmeter auf dem Programm, doch ich will’s nicht übertreiben: ich gönne mir den Bus bis auf 1200 M.ü.M. und ziehe von dort aus los. Eine weise Entscheidung, nicht nur, weil ich damit meine Kräfte schone, sondern auch, weil meine Motivation dadurch etwas weniger leidet: es regnet nämlich nonstop während des ganzen Aufstiegs bis zur Gîte de la Roche Ecrite. Unterwegs liefere ich mir noch ein Überholduell mit einer Gruppe von 5 jüngeren Franzosen, das allerdings schlussendlich knapp von den Frenchies gewonnen wird (umso deprimierender, weil diese von ganz unten losgelaufen sind). Als sich jedoch herausstellt, dass es sich bei den fünf ausnahmslos um Sportlehrer handelt, trägt sich die Niederlage um einiges leichter…

Camille, Laetitia, Charlotte, François

Mit den Frenchies unterwegs in Mafate

Charlotte, Camilla, Laetitia, Gaeton und François treffe ich während der folgenden Tage immer wieder. Sie absolvieren nämlich den GR2, einen der „grossen französischen Wanderwege„, der die Insel in 12 Tagen von Norden nach Süden durchquert. Da mein Programm oft identisch mit dem Lauf des GR2 ist, beenden wir vielfach die Tagesetappe im selben Dorf oder sogar in der selben Hütte. Manchmal verlieren wir uns 2 Tage aus den Augen (weil sie „linksrum“ und ich „rechtsrum“ wandern), doch es gibt immer wieder gemeinsame Abschnitte, die wir teilweise sogar gemeinsam bezwingen. Es ist eine äusserst sympathische Truppe, und insbesondere mit François, der an der französischen Grenze in der nähe von Porrentruy wohnt, verstehe ich mich hervorragend. Das scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen, denn ehe ich mich versehe, ist auch die letzte noch offene Nacht gebongt: Die fünf werden nämlich im Anschluss an ihre Wanderung noch eine Woche in einem gemieteten Haus an der Westküste verbringen und laden mich spontan dahin ein.

Cirque de Salazie

Wolken ziehen auf

Nach 10 Tagen Randonnée und der Bezwingung des Piton des Neiges, beende ich danach mein Wanderprogramm fürs erste (siehe Tatsächliche Route für eine detaillierte Routendarstellung). Mit Ausnahme des ersten und des letzten Tages, hatte ich zum Glück mehrheitlich sonniges Wetter! Allerdings hiess es oft früh aufstehen: in der Regel lief ich um 7 Uhr los, um am frühen Nachmittag am Ziel anzukommen. Grund dafür ist, dass sich durch die Passatwinde im Laufe der zweiten Tageshälfte oft dichte Wolken und Nebel in den Berggipfeln bilden – wer etwas sehen will von der Landschaft, muss deshalb früh los. Während dieser intensiven Zeit habe ich die Kultur Réunions vor allem in kulinarischer Hinsicht genossen: ich habe unzählige Dodo Biere getrunken, erstklassige kreolische Curries und Rougail Saucisse in den Hüten verspiesen sowie eine Unmenge von offerierten Punchs und Rhums arrangés in mich hineingekippt.

Fanny und Nils

Zwei Parkranger ausser Dienst (im Hintergrund: Le grand Brûlé)

Und, bin ich jetzt stolz auf diese Leistung (äh, nicht die Alkoholmengen)? Ja, schon ein bisschen. Ich habe wohl Tausende von Höhenmetern zurückgelegt (max. 2000 an einem Tag, hoch und runter) und trotz teilweise harten Etappen den Plan immer einhalten können. Aber macht mich das zu einem Sibesiech? Niet. Denn das, was ich hier in 10 Tagen erlaufen habe (und mehr), machen andere innerhalb von 24 (!!!) Stunden. Die Diagonale des Fous findet jedes Jahr im Oktober statt, und auf diesem Rennen, das von mehr als 2500 Personen absolviert wird, durchqueren die Athleten die gesamte Insel. Zahllose Verrückte trainieren vor allem an den Wochenenden für den 160 Kilometer langen und mit knapp 10’000 Höhenmetern (nur bergauf gezählt) ausgestatteten Kurs. Während man also so gemütlich auf den Wanderwegen (alle im Stil von alpin weiss-rot-weiss) mit seinem Rucksackl unterwegs ist und von Stein zu Stein balanciert, hört man ständig ein lautes Getrappel von hinten/oben und muss zur Seite treten, weil wieder eine Gruppe von Spinnern im Laufschritt an einem vorbeihetzt. Man bedenke: Während des Rennens auch bei Nacht, mit Stirnlampe! Wer also noch eine Herausforderung sucht: Bitte schön. Es gibt auch einen kleineren Kurs für die Anfänger und Schwächlinge…

5 Monate!

Es ist mal wieder Jubiläum

Nachdem ich auf dem Piton des Neiges noch mein 5-Monatejubiläum feiern konnte (mit tatkräftiger Unterstützung der Frenchies) folgen 2 ruhigere Tage in St. Joseph/St. Pierre bei Fanny und Nils, die beide Ranger des Nationalparks sind, mir deshalb viel über die Natur und die Geologie des Vulkans zu erzählen wissen und auch verschiedene Ausflüge mit mir unternehmen. Danach miete ich noch für 3 Tage ein Auto und benutze die grössere Bewegungsfreiheit, um noch den Fôret Bébour-Bélouve und die Gegend um den Vulkan zu erkunden. In beiden Gebieten stehen noch einmal längere Wanderungen (aber diesmal ohne Rucksack) auf dem Programm, und ich staune täglich, wie vielfältig die Natur La Réunions auf den total nur gerade mal 2500 Quadratkilometern ist. Das Landschaftsbild verändert sich ständig, was natürlich durch die verschiedenen Klimazonen auf verschiedenen Höhen bedingt ist. So habe ich z.B. auf 2500 M.ü.M. auch zugefrorene Bäche gesehen, während unten an der Küste die Papayas nur so explodieren.

 Am letzten Tag lasse ich alle meine Erlebnisse noch einmal Revue passieren und mache noch einen Inselrundflug mit einem ULM, einem Ultraleichtflugzeug. Der Flug ist fantastisch (Geschwindigkeit t.w.  weniger als 130km/h), und ich kenne natürlich den Grossteil der überflogenen Gebiete, Dörfer und Landschaftspunkte wie meine Hosentasche…

Nur 6 Stunden später sitze ich etwas Wehmütig im „richtigen“ Flugzeug Richtung Madagaskar. Dem Dodo sollte man wohl definitiv irgendwann mal wieder einen Besuch abstatten…