Wenn der Enkel mit dem Grosi…

Manao ahoana! Ich bin gerade in Madagaskar und habe nichts zu tun und das Internet ist a) gleich um die Ecke und b) schweinebillig, da dachte ich, ich schreibe doch mal wieder ein Brichtli. [Ok, das stimmt inzwischen schon nicht mehr, ich bin in Wirklichkeit schon wieder in Mauritius und kurz davor, nach Seoul zu fliegen, aber Teile dieses Berichtes habe ich tatsächlich noch in Madagaskar geschrieben, ehrlich!]

Antanarivo und Antsirabe (1. Woche)

Häuser in Antanarivo

Antanarivo

Von meiner bevorzugten der Reiseagentur „Chepps’n’Tours“ in weiser Voraussicht bereits vor 3 Wochen gebucht, erwartet mich ein freundlicher Taxifahrer mit einem Namensschild („DeVon Guten“, ich vermutete mal, das ich damit gemeint sei) am Ausgang des Flughafens und führt mich zielsicher durch die Horden von Gepäckträgern zu seinem Wagen. Das Öffnen der Türen braucht nur eine gefühlte halbe Minute (der automatische Schliessmechanismus ist etwas ausser Rand und Band) und bald schon holpern wir gemütlich Richtung Hauptstadt, wo ich im fantastischen Hotel „Moonlight“ (schwer zu empfehlen) ein Zimmer ganz nach meinem Gusto (Bett, Fenster, Safe und sonst nix) beziehe.

Der nächste Tag bringt freundliches Wetter und damit ideale Bedingungen, um – frisch gestärkt durch tiefen Schlaf bei äusserst angenehmen Temperaturen (in Madagaskar ist Winter und Antanarivo liegt ca. 1400 M.ü.M. = ca. 10°C nachts) – eine erste Entdeckungstour durch die Innenstadt zu starten. Instantan fühle ich mich an Mittelamerika/Guatemala erinnert: Überall Stände am Strassenrand, Markt wohin das Auge blickt, Unmengen von zerbeulten und sichtlich alten Autos (was Kuba für die Ami-Schlitten der 50-er Jahre ist, ist Madagaskar pour les bagnoles françaises der 70-er und 80-er: 2CV CitroënRenault 4 und uralte Peugeots à gogo). Die Häuser hier sind mehrheitlich mit Ziegelsteinen gebaut, was dem Erscheinungsbild der Stadt Charm verleiht. Entgegen aller Erwartungen sind die Strassen (verhältnissmässig) sauber und man sieht fast nirgends Müll herumliegen, was den angenehmen Eindruck nur noch verbessert. Ich bin jedenfalls bald soweit, den ursprünglichen Plan von nur einem Tag Aufenthalt über Bord zu werfen. Wer immer mir empfohlen hat, so rasch wie möglich aus Tana zu verschwinden, war eine Nülpe!

Antanarivo liegt mitten im Hochland von Madagaskar und die Innenstadt liegt auf zwei langezogenen Hügeln und im dazwischen liegenden Tal. Für Fussgänger heisst es deshalb oft Treppen steigen. Nach einem mehrstündigen Streifzug habe ich schon jede Menge Streetfood konsumiert (frittiertes Dies-und-Das, frisches Yoghurt, Cervelat-Hamburger, Mandarinen, Grillspiessli, etc.) um meinen Magen (und vor allem Darm) gleich mal an die hiesige Kost zu gewöhnen. Den alten „boil it, peel it or leave it“ Spruch habe ich bisher noch nie ernst genommen… (Ok, die Mandarinli habe ich geschält.) Im Zentrum hat es neben dem normalen Markt einen riesigen Gebrauchtbüchermarkt  (vom Playboy von 1962 bis zur Bedienungsanleitung von MS/DOS findet man hier alles, auch deutsche Kindergeschichten, französische Klassiker und englische Kriegsromane – fragt sich nur: wer will das lesen?); einen Kinderspielplatz, auf dem die Kleinen auf benzingetriebenen knatternden Miniautos endlos im Kreis rumkurven können; und eine Prachtstrasse (Avenue de l’Independance), die an einem Bahnhof ohne Züge endet und auf der Strassenkünstler ihr Programm darbieten und Taschendiebe die Vazahas (allgemeiner Ausdruck für Weisse) um ihr Portemonnaie und Schmuck erleichten. Über all dem prägen der Königspalast (Rova), der Palast des (ehemaligen) Premierministers und die Kathedrale das Erscheinungsbild der Stadt.

Mamy et Famille

Mit Kind und Kegel unterwegs

Als ich mich in einem kleinen Park von den Strapazen des Touristentums erhole, komme ich mit einem Malagasy ins Gespräch. Während gut einer Stunde unterhalte ich mich mit Mamy über Gott und die Welt, danach bietet er an, mir noch ein wenig die Stadt zu zeigen (er hat praktischerweise grad frei heute – ist aber trotzdem im Anzug unterwegs). Der zweistündige Rundgang endet mit dem Angebot, morgen noch zusammen mit seiner Familie einige Sehenswürdigkeiten in Tana zu besuchen, was ich natürlich gerne annehme.

Als ich mich anschliessend auf den Rückweg zum Hotel mache, werde ich mitten auf der Strasse von einem anderen Vazaha angesprochen – es ist Christophe, den ich mit seiner malagassischen Freundin Fanja vor 2 Wochen während einer Wanderung auf La Réunion kennengelernt habe. Was für ein unglaublicher Zufall (Antanarivo hat 5 Millionen Einwohner)! Wir gehen natürlich gleich auf ein Bierchen und später stösst dann auch noch Fanja dazu und ich kriege schon wieder eine Einladung – diesmal zu einem malagassischen Quartiersfest, jetzt gleich, heute Abend. Im Bewusstsein, dass man Feste feiern soll, wie sie fallen, sage ich natürlich zu. Wir schnappen uns ein Taxi und fahren zu ihnen nach Hause. Dabei komme ich bereits  zum zweiten Mal in den Genuss einer längeren Taxifahrt und stelle fest: 1) Im Tank hat es nie mehr als 1 Liter Sprit. Wenn der Motor ins Stottern kommt oder den Geist aufgibt, weil dieser aufgebraucht ist, dann wird aus einer 1.5 Liter PET-Flasche nachgefüllt. 2) Wenn’s abwärts geht, dann wird der Motor prinzipiell ausgeschaltet und ausgekuppelt. 3) Tachometer, Kilometeranzeige, Sicherheitsgurte und anderen Schnickschnack brauchen wir nicht, ist deshalb entweder gar nicht vorhanden oder dysfunktional. 4) Durch die Löcher am Boden kann man Tipptopp den allgemeinen Strassenzustand studieren.

Dressed up mit Christophe am Quartiersfest

Als wir gegen 8 Uhr beim Haus eintreffen, wo das Fest stattfindet, stellen wir gleich fest, dass wir total underdressed sind. Während man bei uns in legerer Freizeitkleidung an ein Quartiersfest ginge, ziehen die Malagasy nix an, was man nicht auch zur Erstkommunion oder bei einem Staatsdiner tragen könnte. Wir machen noch an der Pforte rechtsum kehrt, und unterziehen uns einem instantanen dressup. Christophe ist so nett und leiht mir ein Hemd und einen Veston, womit ich sogar einigermassen eine Falle mache (auch wenn er 1.80 m gross und vermutlich 20 kg leichter ist als ich). Im zweiten Anlauf fühlen wir uns dann nicht mehr so deplaziert. Wir kriegen den Tisch zuvorderst an der Tanzfläche und können so bestens sehen (und gesehen werden). Der Rest des Abends geht mit Essen, endlosen Reden, Tanz und ein, zwei Fläschchen Rum schnell vorbei. Als wir uns um 2 Uhr morgens verabschieden, ist die Party immer noch in vollem Gang! So geht also mein erster Tag in Madagaskar zu Ende…

Pizza @ Le Gastro

Yeah, 1 Pizza für alle

Den nächsten Tag verbringe ich mit Mamy und seiner Familie in Tana. Wir besuchen verschiedene Sehenswürdigkeiten, spazieren quer durch die Altstadt und essen schliesslich auf Wunsch meiner Reiseführer in einer Pizzeria. Für die Kinder ist es das erste Mal in einem richtigen Restaurant. Als die beiden Eltern die Speisekarte sehen, müssen sie leer schlucken, denn die Preise sind leider jenseits des Haushaltsbudgets… Wir bestellen deshalb eine 30-cm Pizza (für 6 Personen) und einen Liter Cola. Am Ende kann ich Mamy überzeugen, dass er mich wirklich nicht einladen muss; und ich darf die Pizza bezahlen, während er die Cola übernimmt :-) Sobald wir wieder auf der Strasse stehen, wird anschliessend als erstes ein Brot für die Kinder gekauft, damit diese auch satt werden und nicht zu quengeln anfangen… Zum Abschluss gibt’s noch einen Besuch im Zoo, wo ich schon meine erste Ladung Lemuren zu sehen kriege und gleich nach dem Eingang von einem Typen ein echtes Chamäleon in die Hand gedrückt bekomme – ob ich es wohl kaufen wolle?! Selbstverständlich kaufe ich das putzige, schon etwas abgewetzte Tierchen. Als ich es zwecks späterer Verspeisung (ich habe natürlich auch noch Hunger, nach der kümmerlichen Pizza) in meine Hosentasche stecken will, stelle ich fest, dass es sich nur schlecht zusammenfalten lässt und gebe es deshalb wieder zurück…

So vergehen die ersten Tage im Flug und tags drauf mache ich mich bereits mit dem Taxi Brousse auf den Weg nach Antsirabe. Kaum angekommen, werde ich von ungefähr hundert Pousse-Pousse Fahrern (eigentlich ist wohl Zieher die bessere Bezeichnung als Fahrer) belagert und bevor ich zweimal Luft holen kann bin ich schon mitsamt meinem Gepäck in eine Karre geladen worden und ein schwitzender Malagasy zerrt diese zielstrebig Richtung Innenstadt. Noch bevor wir bei meinem Hotel angekommen sind, wird mir von selbigem Fahrer die Teilnahme an einer Famadihana angeboten, und zwar noch heute, in 2 Stunden!

Famadihana

Erstmal ein bisschen mit den Ahnen plaudern...

Die Famadihana, auch „Le Retournement des Morts“ genannt, ist ein Brauch, der nur im malagassischen Hochland und nur im Winter vom Stamm der Merina praktiziert wird. Dabei werden die Leichen (oder vielmehr die Knochen) der Ahnen aus ihren Mausoleen herausgeholt, in der Gegend rumgetragen und danach, in neue Seidentücher verpackt, wieder im Grab verstaut. Das ganze ist ein riesiges Fest, und weil Feste teuer kosten, können sich das die jeweiligen Familien nur alle 4-7 Jahre leisten. Obwohl natürlich – über’s ganze Hochland gesehen – jeden Tag Dutzende dieser Feste stattfinden, ist es doch eine einmalige Chance, als Besucher daran teilzunehmen. Ich sage also ohne zu Zögern sofort zu, und nachdem ich meine Sachen im Hotelzimmer verstaut habe, werde ich mit Martial bekannt gemacht, einem lokalen Guide in Antsirabe, dessen Familie heute die Famadihana durchführt und der bereit ist, mich dahin mitzunehmen.

Neuverpacken 2

Grosspapi geht's gut

Nach einer halben Stunde Autofahrt erreichen wir sein Dorf, die Fête ist bereits in vollem Gang. Zu Hunderten steigen die Leute den Berg hoch zu den 3 Mausoleen, die heute geöffnet werden sollen. Da Famadihanas aufgrund ihrer Kosten relativ selten stattfinden, ist dies eine Gelegenheit für das ganze Dorf, auf Kosten der durchführenden Familie zu feiern. Es wird ausgiebig Rum konsumiert (das verlangt der Brauch) und die angeheuerten Musikanten spielen sich mit Klarinetten und Trompeten die Seele aus dem Leib. Total werden heute wohl über 40 Leichen exhumiert, Martial ist dabei für seinen Grossvater verantwortlich. Zu Beginn der Zeremonie wird vom Dach des Mausoleums ein Dialog mit den Toten geführt, danach wird das Grabmal geöffnet und eine Leiche nach der anderen hinausgetragen. Das Prozedere wird dabei von zahllosen Betrunkenen, die sich am Eingang aufhalten und sich die Seele aus dem Leib schreien, ein klein wenig behindert, ebenso von all den Zuschauern, die von möglichst Nahe sehen wollen, wie die eingepackten Leichname das Mausoleum verlassen.  Ich darf als einziger Weisser und damit aussergewöhnlicher Besucher gleich mit aufs Dach steigen und sehe von dort aus alles perfekt. Oft komme ich kaum dazu, der Zeremonie zu folgen, weil mir alle gleichzeitig erklären wollen, was wie und wo und warum passiert. Bereitwillig machen die Leute Platz und treten zur Seite um mir Fotos der eingepackten Ahnen zu ermöglichen. Das ganze dauert über 3 Stunden und endlich kommt auch Martial mit seinem Grossvater aus der Gruft und ich kann aus nächster Nähe betrachten, wie der alte Sack (äh, die alten Tücher mit den Knochen darin) neu verpackt wird. Die Überreste des Grossvaters werden dabei mit denjenigen der Grossmutter zusammen in ein neues Tuch eingewickelt, weil diese dies angeblich so gewünscht haben. Anschliessend werden die neuen Säcke (…) noch einige Male tanzend ums Grab herumgetragen, bevor sie – gut sichtbar mit den entsprechenden Namen angeschrieben – wieder im entsprechenden Regal der Gruft deponiert werden. Voilà, fertig. Während andere noch mit ihren Ahnen beschäftigt sind, ist für die Gruppe „Grosspapi Martial“ das Fest zu Ende. Man trinkt noch einen Rum, schwingt noch ein paar kurze Minuten das Tanzbein, doch dann wird das Mausoleum keines weiteren Blickes mehr gewürdigt und man steigt wieder hinunter ins Dorf.

Zurück nach Hause

...und husch, husch zurück ins Körbchen!

Mit dem Auto fahren wir zurück nach Antsirabe. Es ist mittlerweile schon dunkel, was vor allem deshalb auffällt, weil die Karre kein Licht hat und wir deshalb immer andere Autos, die Licht haben, dichtauf verfolgen (ich hoffe nur, dass meine – relativ fürstliche – Bezahlung des Fahrers von diesem auch für die Reparatur des Alternators verwendet wird). Den Rest des Abends brauche ich dann dafür, die erlebten Eindrücke ein wenig zu verarbeiten. Es ist echt seltsam, diese völlig unbekannte Vertrautheit – man möchte aus unserer Perspektive fast von Respektlosigkeit sprechen – mit dem Tod so hautnah zu erleben. Ich habe heute kein einziges trauriges Gesicht gesehen, was wohl auch daran liegt, dass die Merina eben nicht daran glauben, dass die Toten wirklich tot und weg, sondern immer noch Wesen sind, die Einfluss auf das Leben ihrer Nachkommen nehmen. Dabei schaffen sie es irgendwie, diesen Brauch mit ihrem durchwegs sehr christlichen Glauben unter einen Hut zu bringen. Äh?

Es sind gerade mal 4 Tage seit meiner Ankunft in Madagaskar vergangen! Wenn es mit gleicher Intensität weiter geht, dann kann man mich am Ende meines Aufenthalts wohl in der Pfeife rauchen… Doch unverzagt organisiere tags drauf eine einwöchige Exkursion an die Westküste, die mit 3 Tagen Flussabfahrt auf dem Tsiribinha beginnt und mit dem Besuch der grossen Attraktionen im Westen, der Tsingi von Bemaraha und der Avenue des Baobabs, endet. Glücklicherweise startet die Tour erst in 4 Tagen, so dass ich davor noch genügend Zeit habe, um einen Tag lang die nähere Umgebung auf dem Velo zu erkunden, in einem heiligen See zu baden und mich danach 2 Tage fiebrig im Bett zu wälzen und von den Strapazen zu erholen.

Wie’s mir auf dem Tsiribinha und unter Baobabs ergangen ist, das erfahrt ihr im nächsten Bericht. Er wird (vermutlich) kürzer!

PS: Wer noch mehr Bilder der Famadihana sehen will, schaut sich die Madagaskar-Gallerie auf Flickr an.