Madagascar 2: Escape to Toliara

Hier kommt endlich das Sequel zum ersten Madagaskareintrag! Die Story ist so gut angekommen, dass die Redaktion dieses Reisemagazins beschlossen hat, den gleichen Wein in anderen Schläuchen noch einmal aufzutischen, in der Hoffnung auf doppelten Ertrag mit halbem Aufwand. Es hat zugegebenermassen fast gleich lang gedauert, wie normalerweise eine Kinofilmfortsetzung braucht, ist aber hoffentlich etwas weniger öd geraten als die meisten derselbigen.

Von Miandrivazo nach Morondava

Französische Sonnenschirmli-Touristen

Weil der Besuch der weltberühmten Tsingi von Bemaraha mit den ÖV praktisch unmöglich ist, habe ich mich entschlossen, eine organisierte Reise dorthin zu buchen. Mit im Paket enthalten sind als Entrée  eine 3-tägige Flussfahrt im Einbaum und als Dessert der Besuch der Avenue des Baobabs auf dem Weg nach Morondava. Dazwischen Fahrten mit Minibus, 4×4 und Zebu-Karren. Ein tipp-toppes Arrangement also, und als Bonus gibt’s mit Claudia noch eine äusserst nette junge Reiseleiterin, c’est fantastique. Mit von der Partie sind ausser mir noch Claudias 10-jähriger Sohn Tony und 4 französische Bauingenieur-Studenten, die in Antsirabe ein Praktikum absolvieren. Schon wieder mit Franzosen unterwegs! Nimmt denn das kein Ende?

Als erstes fahren wir mit dem Bus von Antsirabe quer durchs westliche Hochland bis ins verschlafene Miandrivazo. Von hier startet die Flussexpedition. Allerdings gibt es für uns Gäste nicht allzuviel zu tun: Nachdem wir es uns in den 2 Kanus gemütlich gemacht haben, brauchen wir kaum mehr einen Finger zu rühren. Gepaddelt, gekocht und Zelte aufgestellt wird ausschliesslich von der Chefin und den 3 angeheuerten Piroguiers, und zwar ohne wenn und aber. Mithelfen? Ein Ding der Unmöglichkeit, aber wenn man wirklich darauf besteht, dann darf man vielleicht noch den letzten Zelthäring einstecken oder mal eine Gabel tragen. D.h. während Claudia und ihre Crew von morgens um 5 bis abends um 10 Uhr schuften, bleibt uns Vazaha nichts anderes übrig als faul rumzusitzen und die Hände im Schoss zu falten. Das entspricht  zwar überhaupt nicht meiner Vorstellung von Reiserei, aber nach zwei Tagen  ergebe ich mich in mein Schicksal als zahlender All-Inclusive-Gast. Immerhin haben wir nach mehrfachem Insistieren erreicht, dass das Nachtessen gemeinsam eingenommen wird. Bei Zmorge und Zmittag sitzen wir aber immer noch schön getrennt: Malagasy hier, Vazaha dort, nix zu machen.

Jippy-ay-yeah, das erste Chamäleon!

Die Fahrt den Tsiribihina hinunter ist trotzdem schön. Wir sehen jede Menge Vögel, ab und zu ein Chamäleon im Schilf, Lemuren in den Bäumen und das eine oder andere Krokodil. Der Fluss hat um diese Jahreszeit nicht so viel Wasser und immer wieder müssen wir aussteigen und die Kanus über den Sand ziehen (lassen).  Doch wenn’s genügend Wasser hat, dann paddeln die drei Piroguiers was das Zeug hält und machen dabei jedem Aussenborder Konkurrenz. Damit die Paddelmaschine nicht den Geist aufgibt, wird sie jeden Tag mit Reis gefüllt, wobei 1 kg Reis pro Person wohl noch knapp geschätzt ist. Wir haben ja diese fixe Vorstellung, dass die grossen Reisesser in Asien zu Hause sind, aber glaubt’s mir: Madagaskar ist das wahre Reisparadies auf Erden.  Die Leute hier schaffen es sogar, bis zu 3 Ernten pro Jahr einzuholen (2 ist normal). Hier gibt’s Reis zum Frühstück, am Mittag und – jawoll, ihr habt’s erraten – zum Znacht; wobei eine Mahlzeit meistens zu 3/4 aus Reis besteht, alles andere ist Beilage. Unsere 3 Paddler essen z.B. schon nur zum Frühstück pro Person eine mittlere Pfanne (ca. 20 cm Durchmesser) voll Reis. Wir Gäste dürfen zum Glück auch etwas weniger nehmen, uff!

Unterwegs mit 2 Zebustärken (2ZS)

Claudia kocht vorzüglich, und zwar konsequent immer zwei Menus pro Mahlzeit: Ein malagassisches für sich und die Crew und ein etwas westlicher angehauchtes für ihre Kunden. Sie gibt alles, um uns die Reise auch kulinarisch so angenehm wie möglich zu machen. Dabei zaubert sie auch mal eine Pizza aus dem Ärmel und hat extra 3 lebendige Hühner mitgenommen, damit wir auch am 3. Tag noch frisches Fleisch haben. Die Pouletten sind irgendwo unter Rucksäcken und anderem Gepäck im hinteren Teil des einen Kanus verstaut und geben hin und wieder mal einen verzweifelten Gack! von sich, wohl ahnend, dass für sie die Reise kein gutes Ende nehmen wird. Dass sie dabei nicht mal einen Platz mit Aussicht und genügend Beinfreiheit erwischt haben, macht die Sache auch nicht besser.

Nach 3 Tagen beenden wir die Fahrt im Dorf Antsiraraka, welches nur über den Flussweg zu erreichen ist. Wir benutzen deshalb Zebu-Karren, um die nächstgelegene Strasse zu erreichen, wo uns ein 4×4 erwartet. Die Zebus sind der Nationalstolz der Malagasy und die Zebukarren, die wirklich überall durch kommen, werden auch „notre Quatre-Quatre“ genannt. Wer braucht schon einen 4×4, wenn man zwei Zebu und einen Holzkarren hat?

Wo das nur hinführt?

Nun ja, für die restlichen 150km, die uns noch bevorstehen bis nach Bekopaka, ist so ein Geländewagen doch ganz praktisch. Mit dem Zebu bräuchte man wohl mehrere Tage dafür, mit der Dieselkarre sind wir hingegen in 5 Stunden dort! Die 3 Piroguiers, die uns bis nach Antsiraraka gepaddelt haben, sind allerdings nicht ganz so schnell wieder zu Hause: 7 Tage brauchen sie für die Strecke in umgekehrter Richtung. Es gibt keine Abkürzung…

Wer mit einem Kühlschrank unterwegs ist, ist hier im Nachteil.

Bekopaka ist der Ausgangsort für Ausflüge zu den grossen und kleinen Tsingi von Bemaraha. Diese faszinierenden Karstformationen bedecken hier an der Westküste von Madagaskar eine grosse Fläche, weshalb man darumherum einen grossen Nationalpark angelegt hat. Die Karstebene ist extrem zerfurcht und hat zahllose schmale Spalten und äusserst scharkfkantige Felsspitzen an der Oberfläche, durch die man mit einem Führer mehrere Stunden lang hindurchklettern kann. Innerhalb der Formationen findet eine Vielzahl an Tieren Zuflucht (verschiedene Lemuren, Schlangen, Chamäleons, Vögel, und sonst noch jede Menge Kreuch-und-Fleuch) und die spezielle Topologie hat eine einzigartige Pflanzenwelt hervorgebracht. Kurz: Es handelt sich bei den Tsingi um ein geologisches Weltwunder, das sich nur hier beobachten lässt (und in etwas kleinerer und weniger imposanter Form noch an zwei anderen Orten in Madagaskar).

Tsingi bedeutet so viel wie „Wo man nicht Barfuss laufen kann“, weil die Felsen und alle Kanten so spitzig und scharf sind. Für die  Malagasy, die in dieser Gegend wohnen, sind die Tsingi heilig. Sie bestatten ihre Verstorbenen in den zahlreichen Höhlen (es gibt aber keine Famadihanas wie im Hochland, siehe letzter Bericht), führen an Ort verschiedene Zeremonien durch und sammeln z.B. Medizinalpflanzen. Während sich jeder normale Mensch innerhalb von Minuten komplett im Wirrwarr der Spalten, Kerben und Schluchten verirren würde, kennen die ansässigen Medizinmänner und Schamanen die Wege in und auswendig. Für die Touristen gibt es einige gut unterhaltene Pfade, auf denen man hin und wieder eine Leiter hochklettert oder auf einer kleinen Hängebrücke eine grössere Kluft überquert. Wer allerdings zuviel Speck auf den Rippen hat, geht das Risiko ein, irgendwo stecken zu bleiben (zum Glück habe ich schon einige Kilo abgenommen).

Zum grössenvergleich beachte man den brusthohen Zaun im Hintergrund

Am letzten Tag unserer 5-tägigen Reise geht es noch 250km nach Süden. Dazu gibt es eigentlich nicht viel zu sagen, ausser dass der elende rote Staub nach 6 Stunden Autofahrt wirklich überall ist, auch wenn die Autotüren und -fenster geschlossen bleiben. Auf dem Weg von Belo-sur-Tsiribihina nach Morondava kommen wir bei der Avenue des Baobabs vorbei. Das ist ein Stück Strasse, das beiderseitig von vielen Baobabs gesäumt ist und vor allem bei Sonnenuntergang sehr schön anzusehen ist. Natürlich ist es deshalb kein Zufall, dass wir am späten Nachmittag dort vorbei kommen, und natürlich sind wir auch nicht die einzigen. Aber die majestätischen Bäume sind so riesig und eindrücklich, dass es der Stimmung keinen Abbruch tut, wenn noch 200 andere Leute da sind. Ich mache so viele Fotos, dass wohl alle, die sich die Galerie auf Flickr anschauen, darob einschlafen werden (wenn’s nicht schon bei den Tsingi-Bildern passiert ist). Sorry.

So ein kuscheliges Früchtchen

Es gibt übrigens weltweit nur 8 Spezies von Baobab, davon kommen 6 ausschliesslich in Madagaskar vor (und je 1 in Afrika und Australien). Die Bäume können über 800 Jahre alt werden und tragen Früchte, die man essen kann. Doch der Geschmack ist eher langweilig und alles andere als umwerfend. Dafür sind die apfelgrossen Kugeln wegen des feinen Pelzes, der sie überzieht, sehr angenehm anzufassen. Ähnlich wie eine reife Pfirsich, nur kuscheliger!

In Morondava verabschiede ich mich nach dem kollektiven Verzehr einer riesigen Meeresfrüchte-Platte (im Restaurant Chez Alain) von Claudia und meinen Mitreisenden. Dafür tue ich mich gleich wieder mit einem französischen Pärchen und einer Schweizerin zusammen, um einen 4×4 bis nach Belo-sur-Mer zu mieten. Zu viert lässt sich der Preis gerade noch verkraften…

Von Morondava nach Tuléar

Ich plane allerdings nicht  mit den anderen drei nach Morondava zurückzukehren, sondern von Belo aus mit einem Segelboot weiter Richtung Süden zu reisen. Ich habe keine Ahnung, ob das klappt und fahre mal so auf’s Geratewohl dorthin, im Wissen, dass ich noch 2 Wochen Zeit habe, um wieder nach Antanarivo zu kommen.

Ein unglücklicher Baobab

Auf dem Weg nach Belo zeigt uns der Fahrer einen Baobab-Wald, der von einem kürzlich vorbei ziehenden Zyklon stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Es treibt einem die Tränen in die Augen, alle diese wunderschönen Bäume wie riesige ausgerissene Pilzstängel am Boden liegen zu sehen.

Dieser Fahrer arbeitet hart für sein Geld

Ebenfalls die Tränen in die Augen treibt uns dann noch ein weiteres Abenteuer: Weil es in letzter Zeit relativ viel geregnet hat, ist die Strasse in noch miserablerem Zustand als bei trockenen Verhältnissen und selbst mit einem 4×4 nicht einfach zu befahren. Als Folge davon schlittern wir des öftern seitwärts über die Piste oder machen hin und wieder mal eine Achteldrehung (zum Glück nur um die Z-Achse). Weil uns der Fahrer unbedingt auch noch die örtlichen Salzgewinnungsfelder zeigen will, müssen wir über eine sehr lehmige Ebene fahren und versenken dort prompt den Vierlivier.

Um den Wagen wieder flott zu machen brauchen wir ungefähr 3 Stunden sowie unzählige von weit weg hergeholte Steine, Äste und Holzbretter; zwei Wagenheber; eine Menge Diesel; viel Geduld und schliesslich noch etwa 20 äusserst hilfsbereite Bewohner eines nahegelegenen Dorfes. Weil aber nach der Rettungsaktion das Getriebe des Geländeganges nicht mehr fit ist, werden wir auch noch Zeugen davon, wie in einer Behelfsgarage mitten im Busch innert Stundenfrist mit Hilfe eines Schweissgeräts, einem Seitenschneider, einem Dieselgenerator (für den Strom) und einem grossen Hammer aus einem Stück Metall eine neue Getriebestange hergestellt wird. Emil Frey’s Garagen sind für Anfänger, möchte man da sagen. Und tatsächlich hält das Teil, so dass wir kurz darauf ohne weitere Zwischenfälle Belo erreichen. Chapeau!

Frohes Schifflebauen am Strand von Belo

Belo-sur-Mer ist ein grösseres Dorf an der Westküste Madagaskars und bekannt für seine Schiffswerkstätten. Hier werden direkt am Strand jedes Jahr Dutzende von neuen Holzschiffen, sogenannte Boutres, zusammengebaut. Am Rande des Dorfes stehen Schiffe in allen möglichen Stadien der Konstruktion und man kann den Zimmermännern bei der Herstellung über die Schulter schauen. Neben der permanenten Dorfbevölkerung leben auf einer vorgelagerten Sandbank in einfachen Zelten noch Hunderte von Vezo – das sind Wanderfischer, die auf der Suche nach ergiebigen Fischgründen von Süd- nach Nordmadagaskar ziehen (und danach wieder zurück).

In Belo angekommen erkundige ich mich gleich nach einer Mitfahrgelegenheit nach Morombe oder Tulear. Es gibt dafür grundsätzlich 2 Möglichkeiten: Entweder mit einem Boutre-Transportschiff oder mit einer Fischerpiroge. Die letztere ist ein fürs Meer fitgemachter Einbaum mit Segel und einem Ausleger. Während ein Boutre sicher bequemer und vor allem günstiger wäre, spricht für die Piroge die sofortige Verfügbarkeit. Dazu muss ich nur ein paar Fischer mit Boot anheuern, ihnen einen dicken Batzen Geld in die Hand drücken und schon bin ich unterwegs. Eine Mitfahrgelegenheit auf einem Boutre zu finden ist hingegen schwieriger, weil diese meistens Salz im Norden von Belo abholen und dann von den Salinen direkt nach Süden fahren, ohne noch einmal in Belo anzulanden. Nachdem ich mehrere Angebote eingeholt habe, finde ich zwei Fischer mit einer eigenen Piroge, die bereit sind, mich für 150’000 Ariary  nach Morombe zu fahren. Der eine spricht sogar ca. 10 Wörter Französisch, was mich schon fast Luxus dünkt.

Achtern sitzt der Steuermann...

...während es sich der Matrose auf dem Ausleger bequem macht

Morombe ist nur etwa 100 km Luftlinie entfernt und es herrscht gerade Ostwind – perfekte Konditionen also (mit der Baligand wäre das in 8-10 Stunden zu schaffen). Wir setzen den Abfahrtstermin auf den übernächsten Tag fest und bis dahin geniesse ich noch ein wenig das Strandleben und den frischen Fisch, den es hier zu essen gibt.

Als es so weit ist, legen wir um 6 Uhr morgens ab und fahren zügig Richtung Süden. Dabei sitzt der Steuermann ganz am Ende der Piroge und benutzt sein nicht fixiertes Paddel als Ruder. Der andere Mann steht oder liegt eigentlich ständig auf dem Ausleger, einerseits als Gewichtstrimm aber andererseits auch, weil es im Boot kaum Platz für drei Personen hat. Ich (= die Ladung) darf es mir in der Mitte  bequem machen – soweit das bei einem ca. 50cm breiten Schiff möglich ist… Schon nach kurzem sehen wir einen ersten Wal, wenn auch weit weit weg. Das fängt ja echt gut an! Am Mittag schläft dann der Ostwind ein und kommt kurz darauf um um 180° gedreht zurück. Kein Problem, damit kann man genau so gut nach Süden fahren! Am späten Nachmittag landen wir schliesslich am Strand und bereiten die Übernachtung vor. Das geht ratz-fatz: 1. Segel herunternehmen und am Strand ausbreiten, 2. sich darin einwickeln und 3. schlafen. Vorher gibt’s noch gekochte Süsskartoffeln (malagassische Gschwellti). Jepp, es ist ein einfaches, aber ein gutes Leben. Der Sternenhimmel ist superklar und ich habe schon lange nicht mehr so viele Sternschnuppen gesehen.

Wo immer am Strand ein Segel liegt, da bette dich ruhig hin

Tagsdrauf weht der Wind erneut zuerst von Osten und dreht dann auf West. Um nach Morombe zu kommen  müssen wir um ein Kap herumsegeln, doch leider kommt der Windwechsel dafür zu früh, und wir schaffen es nicht, gegen den Wind genügend Höhe für eine Umrundung zu gewinnen. Kurz nach Mittag müssen wir aufgeben und legen nach nur etwa 20 km zurückgelegter Strecke in der Nähe von Ankoba wieder an. Upps – schon 2 Tage vorbei und erst knapp die Hälfte der Distanz hinter uns gebracht! Das Segelreisli könnte wohl etwas länger dauern, als gedacht…

Doch ich habe die Rechnung ohne meine wackeren Fischer gemacht. Morgens um 2 Uhr ist Tagwache, der Wind bläst munter und kräftig vom Land weg und wir machen uns im Mondschein auf den Weg. Nur eine halbe Stunde später laufen wir wohl wegen Ebbe auf einer Sandbank auf. Danach geht der Steuermann auf Nummer sicher und bringt erst mal genügend Distanz zwischen Boot und Küste, bevor wir nach Süden abdrehen. Wir segeln so weit weg vom Land, dass es ausser Sichtweite gerät. Ich will ja nicht sagen, dass das grundsätzlich eine neue Erfahrung ist für mich, aber es ist doch ein Unterschied, ob man sowas mit einer voll ausgestatteten modernen Yacht tut oder mit einem klapprigen Einbaum-Fischerböötli in stockdunkler Nacht. Zumindest kann ich jetzt halbwegs nachvollziehen, wie sich die Indonesier gefühlt haben, als sie vor ca. 2500 Jahren auf diese Art und Weise den Indischen Ozean überquerten und  in Madagaskar gelandet sind!

Während wir so über die im Mondschein matt schimmernde Wellen dahingleiten, hört man ab und zu ein starkes Schnaufen und Prusten in unmittelbarer Nähe. Mir wird klar, dass es sich dabei um einen oder mehrere Wale handeln muss. Dass man das riesige Tier, welches sicher um einiges grösser ist als unsere Nussschale, im Wasser unter oder neben uns nur hört und nicht sieht, finde ich ziemlich unheimlich…

Wieder an Land - Bienvenue chez "Le Crabe"

Es wird ein langer und anstrengender Segeltag. Doch meine Begleiter wissen genau, was sie tun. Ein paar Stunden nach Tagesanbruch kommt wieder Land in Sicht und am späten Nachmittag sind wir in Morombe. Dort quartieren wir uns in den Bungalows „Le Crabe“ ein, wo es eine äusserst erfreuliche Überraschung gibt: Hängematten! Wie im guten, alten Mittelamerika! Es gibt nichts besseres, um sich nach einer langen anstrengenden Reise zu entspannen und zu erholen – die Patrons von „Le Crabe“ scheinen die einzigen in ganz Madagaskar zu sein, die das begriffen haben. Bravo!

Doch viel Zeit zum Chillen bleibt mir nicht. Der Bus-Brousse nach Toliara fährt nämlich schon um Mitternacht ab, und ich kann mich gemäss den eingezogenen Auskünften schon mal auf eine Reisedauer „zwischen 12 und 24 Stunden“ einstellen. Für 250km! Na ja, es ist ja trocken, denke ich, und hoffe deshalb auf eine Fahrtzeit die näher bei 12 als 24 Stunden liegt. Doch leider falsch gedacht – wie es sich herausstellt, dauert die Fahrt weder 12 noch 24 Stunden. Nein, geschlagene 25 Stunden lang holpert und ächzt der vollgestopfte Bus über hundsmiserable Staub- und Dreckpisten! 25 Stunden! Und der Fahrer hat nie gewechselt! Ist das krass oder was?

Doch letzteres klingt gefährlicher als es wirklich war: 25 Stunden für 250 km ergibt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von bloss 10km/h und da kann der Fahrer auch mal am Steuer einschlafen, ohne dass etwas wirklich schlimmes passieren kann. Aber unser Chauffeur ist zäh – er hält bis zum Ende durch und fährt und fährt und fährt und fährt und fährt und fährt bis wir endlich, schliesslich, finalemente am darauffolgenden Tag morgens um 1 Uhr in Toliara ankommen. Noch nie habe ich so breitwillig ein Taxi ins nächstbeste Hotel genommen!

– THE END –

Mit diesem Beitrag, liebe Leser und Leserinnen, beenden wir unsere Berichterstattung aus dem fernen Madagaskar. Es gab zwar noch 2 weitere Wochen voller berichtenswerter Geschehnisse, doch müssen wir uns aus zeitlichen Gründen in weiteren Artikeln auf  später erfolgte Begebenheiten konzentrieren. Wir hoffen auf Ihr Verständnis und bitten vielmals um Entschuldigung.

Land in Sicht!

Ich bin mal wieder etwas spät dran mit schreiben, äxgüsi. Tatsächlich sind wir schon vor einer Woche, am 3. Juni, nach 18 Tagen Überfahrt wohlbehalten in Horta auf den Azoren eingelaufen. Doch schön eines nach dem anderen…

Zum letzten mal Land

Goodbye St. Martin, Adios Karibik!

Nachdem wir am 15. Mai am frühen Nachmittag St. Martin und damit die Karibik am Horizont zurück gelassen haben, richten wir unseren Kurs auf die 2100 (See-) Meilen entfernten Azoren aus (zu Beginn noch auf Flores). Der Wind kommt aus Osten, das passt hervorragend, und tatsächlich können wir so bereits in den ersten 2 Tagen schnurgerade 300 Meilen auf Amwind-Kurs Richtung Zielhafen gewinnen, ohne auch nur einmal die Segel nachzustellen oder eine Schot in die Hand zu nehmen. Natürlich können wir es unter diesen Umständen nicht lassen, an den Fingern abzuzählen, wie rasch wir unter diesen Umständen ankommen werden (14 Tage!) aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Wir fahren grundsätzlich 24 Stunden am Tag, d.h. eine Person ist immer auf Wache. Tagsüber haben wir 2-Stunden Einteilung, was für jeden 2 Tag-Wachen ergibt. Während der Nacht haben wir 4/3/4-Stundenwachen, wobei Lorenzo die erste Wache von 20 Uhr bis Mitternacht, Philipp (der Skipper) die mittlere bis 3 Uhr und ich die letzte bis 7 Uhr übernehme. Philipp erhält eine kürzere Wache, weil er grundsätzlich immer zur Verfügung steht, und bei fast jedem Manöver oder jeder Entscheidung dabei ist. Dieses System halten wir die ganze Zeit über ein, ausser bei prekären Wetterverältnissen. Dann teilen sich Lorenzo und ich die Nacht in abwechselnden 2-Stunden-Wachen, und Philipp ist Standby (wobei das unter diesen Umständen natürlich heisst, dass er ca. alle 30min irgend eine Entscheidung zu treffen hat oder aufbleibt, um Wetter und Schiff zu beobachten). Letzteren Modus müssen wir zum Glück nur während 2 Nächten fahren, ansonsten haben wir so alle komfortable 7 Stunden Schlaf am Stück pro Nacht.

Morgenstimmung 2

Sonnenaufgang (fast) jeden Morgen

Während der ersten 3 Tage demonstriere ich mal wieder tüchtig meine exzellenten Fähigkeiten zum Rückwärts-Essen: Ich kotze rund alle 4 Stunden weil ich mal wieder Seekrank bin. Ich dachte eigentlich, ich sei dagegen einigermassen immun, aber am Wind bei relativ starkem Wellengang schüttelt und schlägt das Boot mit den 7-8 Knoten, die wir fahren, halt schon ziemlich stark. Zum Glück fühle ich mich nach jedem Ueli-Ruf wieder blendend, d.h. das Übelkeitsgefühl kommt jeweils ziemlich rasch – würghustspotz – dann ist es wieder weg. Das habe ich bei anderen Leuten schon ganz anders gesehen, die so Seekrank waren, dass sie sich vor lauter Elend kaum noch bewegen konnten, das war bei mir zum Glück überhaupt nicht so. Nach 3 Tagen kann ich das Essen schliesslich wieder behalten und die Seekrankheit ist wie weggeblasen. Es kann noch so heftig schlingern und ich kann problemlos unter Deck auf dem Bauch liegend Wasser aus der Bilge pumpen, ohne auch nur einen Anflug von Übelkeit zu verspüren. Das scheint eine Regel zu sein: Philippe meint, er hätte noch nie jemanden gesehen, der länger als 4 Tage unter Seekrankheit gelitten hätte. Wer hätte das gedacht?

Krängung inkl.

Das Schiff steht quasi nonstop schräg für 18 Tage

Das äusserst komische Gefühl im Bauch, das man erlebt, wenn man in der Bugkabine bei starkem Seegang auf dem Rücken liegt, bleibt aber: Zuerst hebt sich der Bug (und damit der Magen) infolge einer Welle auf die man auffährt. Dann schlägt der Bug mit starker Beschleunigung abwärts, der Körper ebenfalls, wobei sich die inneren Organe aber immer noch in Aufwärtsbewegung befinden. Sie stossen deshalb an die Bauchwand (gulp!) und werden dort abrupt abgebremst (urgl?) und wieder nach unten geschleudert (bonk!), wonach sich das ganze wiederholt. Man kann ein ähnliches Gefühl beim Skifahren erleben, wen man mit starker Beschleunigung über eine Kuppe fährt. Aber auf dem Schiff findet es im liegenden Zustand statt, was um einiges komischer ist.

Schon wieder Wolken

Wolken und Wasser sind jeden Tag anders

Und nun zur Frage, die wohl den meisten Leuten auf der Zunge brennt: Was tut man während 18 Tagen zu dritt auf einem 16-Meter-Schiff? Denkt man über denn Sinn des Lebens nach? Wird man still, klein und bescheiden in Anbetracht der endlosen Weite des Meeres und der eigenen Unbedeutsamkeit darin? Ist man dauerspitz, wie sich das für einen Seefahrer gehört? Hat man Sehnsucht nach Land? Geht man sich auf die Nerven? Langweilt man sich ohne Ende? Vermisst man irgend etwas, z.B. ein heisses Bad oder die Bekanntgabe der Lottozahlen am TV? Neinneinneinnein. Man ist einfach. Man lässt (guten Gewissens) den Bart spriessen. Man bestaunt hin und wieder die zahlreichen, immer anders aussehenden Wolkenformationen. Man liest (auf Kindle oder auf Papier). Man kocht (in unserem Fall: ich, d.h. moi je suis le chef du cuisine). Man wäscht ab (sicher nicht ich). Man denkt sich die nächste Mahlzeit aus (das kann durchaus einige Zeit in Anspruch nehmen). Man nimmt hin und wieder eine Dusche (in Folge Wasserknappheit ca. alle 4-7 Tage, was aber gar nicht so ein Problem ist, weil man immer nur faul rumliegt und nie schwitzt). Man nervt sich je länger je mehr über die 25 Grad Neigung, die ständig vorherrschen (man kocht bergab, scheisst bergauf, liegt am Hang, hangelt sich durch den Salon, klammert sich an jeden Zipfel und Vorsprung und verflucht diejenigen, die nachgeben und reissen, weil man sie bei Ankunft reparieren muss: ich z.B. den Reissverschluss der Cockpitabdeckung). Man staunt über Vögel, die 2000km von jeglichem Land entfernt ums Schiff fliegen und versucht gleichzeitig, diese am Landen zu hindern, denn wer will schon Vogelkacke aufputzen? Man plaudert auf „Frenglish“ miteinander und versucht den Italiener in der Crew zu verstehen, wenn er mal wieder nonstop darauf los redet. Man trinkt mittags ein Bierchen und abends ein Schnäpschen (Ti-Punch mit Rum de Martinique), solange bis die Limetten ausgehen. Man sieht sorgenvoll die Nutella und die Ernussbutter zu Ende gehen. Man lädt 1x pro Tag mit Satellitentelefon den Wetterbericht runter und freut sich, wenn der Wind immer noch da ist. Man gönnt sich ein Nickerchen oder zwei. Kurz: total unspektakulär das Ganze; und nach ca. 10 Tagen ist es einem total egal, ob es jetzt noch 3 Tage, 1 Woche oder 2 weitere Wochen dauert, bis man ankommt. Unerwartete Antwort, gelle? Aber so ist es, glaubt es mir.

3 Monate!

28. Mai = 3 Monate unterwegs

So segeln wir also 18 Tage lang. Wir haben praktisch immer Wind, den Motor gebrauchen wir gerade mal 10 Stunden, meist, um durch eine Schauerzone mit Regen durchzufahren, da der Wind dort meist kurzfristig zusammenfällt. Während der ersten 2 Tage haben wir Südostwind, und können direkt aufs Ziel zuhalten. Danach dreht der Wind nach Osten und Nordosten, wodurch wir auf einen nördlicheren Kurs gezwungen werden. Sobald wir den 38. Breitengrad erreichen, müssen wir nach Osten aufkreuzen. Zu diesem Zeitpunkt, nach 2 Wochen (!) wenden wir zum ersten Mal – zur Freude von Lorenzo, weil er auf der Steuerbordseite schläft, und somit zum ersten Mal an der Wand liegen kann und nicht im Leebord klebt (das ist das Brett, das ein Rausfallen aus dem Bett verhindert). Bis hierhin haben wir jeden Tag mehr als 150sm gemacht, das entspricht einer mittleren Geschwindigkeit von 6kn, das Maximum war 180sm/Tag. Danach wird’s hart – mit diesem Boot (eine Amel Super Maramu 2000) kreuzt sich schlecht, wir können nur etwa 60 Grad gegen den Wind machen, d.h. wir pendeln sehr steil hin und her und machen plötzlich nur noch 50sm pro Tag aufs Ziel zu. Das geht echt an die Nerven, weil wir schon so nah sind, aber nicht mehr vorwärts kommen. Schlussendlich erreichen wir Horta auf Faial am 3. Juni um 8 Uhr morgens. Bei der Anfahrt haben wir superklares Wetter und können die Lichter der Insel schon um 4 Uhr morgens sehen und den Sonnenaufgang direkt über der Insel beobachten. Wir landen problemlos in der Marina und nach gut 420 Stunden auf See betreten wir zum ersten Mal wieder Land. Wir haben den Atlantik mit der mittleren Geschwindigkeit eines Fahrrads (ca. 15km/h) überquert!

Im Hafen von Horta

Yes, wir sind wieder an Land!

Nach einem gemeinsamen Ankunftsbier (noch an Bord), der Immigration (durch 4 Stellen = 1.5 Stunden), einer ausgiebigen Dusche, Kleiderwäsche und gründlichem Auslüften können wir uns wieder den Annehmlichkeiten der Zivilisation (sprich: Internet, Espresso und Patisserie), den Reparaturen am Boot und der Erkundung der Insel(n) widmen. Doch dazu mehr im nächsten Bericht, denn heute verlassen wir die Azoren schon wieder Richtung Gibraltar, wo wir wohl in 8-10 Tagen eintreffen werden.

Abwesenheitsnotiz

Es ist soweit! Wir sind unterwegs! Vor wenigen Minuten (11.37 Uhr) haben wir die Marina (18° 04.240 N, 63 °05.251 W) verlassen und segeln nun mit SE-Wind Richtung Ost, im Moment noch zwischen Anguilla und St. Martin, aber schon bald werden wir Kurs Nordost setzen, direkt auf die Azoren zu. Wenn alles super läuft, dann können wir bereits in 2 Wochen dort eintreffen. Wenn wir Flaute haben (und das ist anzunehmen, wegen stabiler Hochdruckgebiete weiter im Norden), dann dauert es wohl eher 3 Wochen bis wir ankommen. Bis dahin herrscht auf diesem Kanal Ruhe und der Schreiber dieser Zeilen ist nicht im geringsten erreichbar (in dringenden Fällen bitte das Sekretariat kontaktieren).

Boden

Hauptsache lange haltbar

Schrank

Hunger?

Das Boot ist randvoll gefüllt mit Zwieback, Pökelfleisch und Zitronen, wie in den guten alten Zeiten. Nun hoffen wir, dass der Skorbut keinen grossen Tribut fordert. Ha! Wer’s glaubt! Wir essen hier doch nicht wie die Klabautermänner. Neinneinnein. Der Einkaufszettel vom vergangenen Mittwoch listet für den bescheidenen Betrag von $793.60 unter anderem das folgende auf: 2kg Zwiebeln, 3kg Spaghetti und andere Pasta, Stocki und Reis, 15 Liter Milch, 36 Liter Wasser in Flaschen, Säfte, 6kg Äpfel und Birnen, 2.5kg Thon und Lachs in Dosen, Halbrahm, Mehl und Crème fraiche (wofür wohl?), 5kg Kartoffeln, ca. 5kg Büchsenmais, -erbsen und -rüebli, 3kg Fischfilets, 3kg Pouletbrust, Salami, 3 lt Rum aus Martinique plus eine Flasche Sirop de Canne und ein Kilo Limetten (für unzählige Ti-Punchs), Cola, Tee, Kaffee, Bouillon, Zucker, Salz, Pfeffer, Mayonnaise (nur aus Dijon, vergiss die amerikanische), Senf (dito), eingebüchste und frische Tomaten, Fertigsauce, einige Kilo Brot, ein kompletter Goudakäse für 2.5 kg, Fertigsuppen, Pommes Chips, frische Peperoni und Gurken, etc. etc., totalemente 3 Einkaufswagen voller Futter. Bon appetit!

Bitte drückt uns die Daumen, dass wir auf unserer 4000km langen Reise weder von Blitzen getroffen werden, noch auf einen schlafenden Wal auffahren. Wir würden auch gerne vermeiden, dass wir in einen verlorenen Container donnern, oder des Nachts von einem Frachter überfahren werden. Auch auf Seekrankheit oder andere Krankheiten können wir gut verzichten. Gerne dürft ihr uns guten Wind wünschen (möglichst nicht aus Osten), guten Fischfang, sonniges Wetter, gute Stimmung an Bord, sowie viele Wal- und Delfinsichtungen (nicht im schlafenden Zustand) und sternenklare Nächte.

See you on the other side!